New Work Agilität

Neun „Lügen“ über Arbeit

Einige Glaubenssätze bestimmen HR und Führungsarbeit, als wären sie ewige Wahrheiten. Sind sie aber nicht, nur Annahmen. Die stimmen oder nicht. Ein neues Buch dekonstruiert neun solcher Glaubenssätze.

Wir müssen uns von einigen Mythen rund um Führung und Arbeit befreien, um ans Licht zu gelangen.   Foto: Artem Maltsev on Unsplash
Wir müssen uns von einigen Mythen rund um Führung und Arbeit befreien, um ans Licht zu gelangen. Foto: Artem Maltsev on Unsplash

Glaubenssätze mit Gesetzeskraft

In der Arbeitswelt gibt es viele Annahmen, die quasi Gesetzeskraft haben: Menschen brauchen Ziele, sie wünschen sich ständiges Feedback und haben unterschiedliches Potential. Marcus Buckingham, der lange bei Gallup war und nun das ADP Research Institute leitet, nimmt sich mit Ashley Goodall, Senior Vice President Leadership and Team Intelligence bei Cisco, im Buch „Nine Lies about Work“ solche scheinbar unverrückbare Wahrheiten vor. Die Autoren umreißen universelle Praktiken, die der Individualität und Diversitität von Menschen nicht gerecht würden.

Statt Polaritäten zwischen alter und neuer Arbeit zu pflegen, sollten wir über unterschiedliche Sichtweisen streiten. Dafür bietet das Buch eine gute Vorlage.

Konkret geht es zum Beispiel um die Annahme, die Kompetenzmodellen zugrunde liegt: Dass die besten Mitarbeiter ein abgerundetes Profil haben. Doch keine zwei Menschen, die die gleiche Arbeit gut machen, kämen wirklich auf dieselbe Weise zu Exzellenz. Diese erreichten sie vielmehr durch „Stacheligkeit“, indem sie ihre einzigartigen Stärken finden und nutzen, so die Autoren.

Positive Aufmerksamkeit ist besser als negatives Feedback

Auch dass Menschen ständig Feedback brauchten, stimme nicht. Menschen brauchten vielmehr positive Aufmerksamkeit, die viel häufiger zu hoher Leistung führe als negatives Feedback. Ein weiterer Glaubenssatz: Menschen können andere zuverlässig bewerten. Falsch!, rufen Buckingham und Goodall. Jeder zeige sein eigenes Bewertungsmuster, und jede Bewertung offenbare mehr über den Bewerter als über den Bewerteten. Und schließlich sei auch vieles an Führungskräfteentwicklung Nonsens, weil es keine bestimmten Qualitäten gebe, die gute Führungskräfte ausmachen. Alle hätten Schwächen.

Marcus Buckingham hat bereits mit seinem Buch „First, Break All The Rules: What The Worlds Greatest Managers Do Differently” 1999 den Spruch geprägt, dass Menschen Manager verlassen und nicht Unternehmen. Hier taucht er ähnlich wieder auf: Menschen sei es egal, für welches Unternehmen sie arbeiteten, es komme auf das Team an, in dem sie sich befinden.

Spielt die Unternehmenskultur im Vergleich zum Team für das Commitment der Beschäftigten wirklich keine Rolle?

Das Buch „Nine lies“ ist erhellend, weil es den Autoren gelingt, verkrustetes Denken aufzubrechen und scheinbar Unverrückbares in Frage zu stellen. Bei weit verbreiteten Überzeugungen von „Lügen“ zu sprechen, ist allerdings irreführend. Es handelt sich schließlich nicht um aktive Täuschungsversuche, sondern um Konventionen, die im verwendeten Kontext nicht immer Sinn ergeben. Die Autoren begründen ihre Sichtweisen mit Daten von Gallup, ADP und Cisco. Sicher ließen sich jedoch auch Forschungsergebnisse anführen, die zu anderen Schlüssen kommen.

Wir müssen produktiv streiten

Gleichwohl ergeben sich aus dem Buch spannende, diskussionswürdige Fragen: Können wir Menschen in einer komplexen Arbeitswelt wirklich immer in eine Rolle bringen, in der ihre Schwächen egal sind? Spielt die Unternehmenskultur im Vergleich zum Team für das Commitment der Beschäftigten wirklich keine Rolle? Kann ein schlechter Manager in einer guten Kultur nicht deutlich mehr erreichen als ein guter Manager in einer schlechten Kultur?

Statt Polaritäten zwischen alter und neuer Arbeit zu pflegen, sollten wir über unterschiedliche Sichtweisen streiten. Dafür bietet das Buch eine gute Vorlage und ist deshalb eine absolute Leseempfehlung.