New Work Agilität

„Wenn wir Innovation predigen, sollten wir sie auch zulassen“

New Work statt Old Work? Von hippen Labels hält Christof Horn wenig. Der Geschäftsführer der umlaut AG (ehemals P3 group) erklärt im Interview, welche Art von Führung das umlaut-Netzwerk prägt und wie das Unternehmen Innovation und die Gründung von bis zu fünf Start-ups pro Jahr managt.

Netzwerkorganisation und Agilität bedeuten steten Wandel und Umbau.
Netzwerkorganisation und Agilität bedeuten steten Wandel und Umbau.

Organisation auf den Kopf gestellt

Herr Horn, was macht umlaut (ehemals P3) in Sachen Führung und Innovation anders als andere Unternehmen?

Klassische Organisationen sind von oben nach unten gedacht, als Pyramide. Davon versprechen sich viele Unternehmen mehr Klarheit. Die Pyramidenspitze entscheidet, wer was darf und wer welche Informationen hat. Wir stellen die Organisation auf den Kopf: Bei uns ist unten oben. Wir suchen Mitarbeiter, die Unternehmer in einem Netzwerk sein wollen. Wann immer wir eine Möglichkeit sehen, ein neues Geschäft aufzubauen, wird eine eigene Einheit ausgegründet. Diese Keimzellen bieten Menschen die Chance, selbst etwas aufzubauen. Letztlich führen sich die Töchter selbst.

"Bei uns ist unten oben." Christof Horn, umlaut AG Foto: P3 group

Wie kam es zu der Idee von freier Führung und Entrepreneurship?

Von Anfang an war das Verständnis da, dass die Kundennähe für uns als Dienstleiter extrem wichtig ist. Und wenn man diese Besinnung auf die Kunden als grundlegendes Prinzip konsequent weiterdenkt, muss auch die Intelligenz einer Firma da ansetzen. Zu Beginn haben wir mit Sicherheit noch nicht voll verstanden, was das für Auswirkungen hat. Ich selbst bin dazu gekommen, als wir 28 Leute waren, also noch ein ganz kleines Unternehmen. Da gab es noch gar keinen Grund für Zellteilung. Aber dann hat das bald angefangen. Wir haben herausgefunden, dass es gar keinen Sinn ergibt, alles konformistisch halten zu wollen. Unternehmerische Freiheit heißt, dass man sich zwar zu dem „Warum“, den Werten und der Kultur abgleichen muss, aber im „Was“ und „Wie“ freier sein darf. Das haben wir über die Jahre als Organisationsprinzip weitergeführt, wobei da kein Dogma dranhängt.

Bei uns ist unten oben. Wir suchen Mitarbeiter, die Unternehmer in einem Netzwerk sein wollen.
Christof Horn


Wo sehen Sie hier genau die Gefahr von Dogmatismus?

Wenn das Label wichtiger wird als der Inhalt, dann machen wir den gleichen Fehler wie starre Hierarchien – nur andersherum. Wenn wir alles partout agil machen wollen, wird das nicht unbedingt besser. Die Polarisierung, die gerade aufgebaut wird, Old Work versus New Work, die ist überhaupt nicht zielführend. Nur weil etwas hipper und weniger angepasst erscheint, heißt das noch lange nicht, dass die Organisation leistungsfähiger ist. Wir werden wahrscheinlich ganz viele verschiedene Ansätze brauchen und müssen genauer hinschauen, was wir erreichen wollen, an welchen Leitsätzen wir festhalten müssen und welche wir aufgeben sollten. Denn in großen Organisation haben sich viele Strukturen verfestigt, die gar keinen Sinn machen.

Die Polarisierung, die gerade aufgebaut wird, Old Work versus New Work, die ist überhaupt nicht zielführend.
Christof Horn

Woran liegt das?

Wenn Sie mit Ihrem Unternehmen noch ganz frisch am Markt sind, sehen Sie, dass der Kunde ein Bedürfnis hat und bauen die richtigen Prozesse dafür auf, mit denen Sie dieses Bedürfnis befriedigen können. Wenn Sie wachsen, organisieren Sie sich entsprechend. Ihre ganze Organisation passt genau zum Kunden-Problem, das Sie lösen wollen. Doch mit der Zeit verändert sich das Problem oder es kommen neue hinzu. Jetzt versucht die Organisation die neue Herausforderung in das altbewährte Schema zu pressen. Das ist, wie wenn Sie mit einem rechteckigen Schraubenschlüssel eine Kugel bearbeiten wollten. Sie vergessen dann, warum eigentlich die Organisation da war und dass sie sich ständig wandelt – und zwar in einem immer schnelleren Tempo. Deshalb braucht man strukturell andere Antworten als noch vor 20 Jahren. Aber das Grundprinzip, dass wir auf die Außenwelt, auf den Existenzgrund, reagieren, bleibt völlig gleich.

Freiheit oft nur kultureller Deckmantel

Wir sollten uns fragen: Was ist eigentlich der Erfolgsfaktor? Wann fangen Menschen an, gut zusammenzuarbeiten und Kunden gut zu bedienen? Starre Leitlinien stoßen hingegen immer wieder an ihre Grenzen. Sie können Agilität verkünden, soviel Sie wollen: Solange das Controlling die Kostenstellenstrukturen befriedigt, ist Schluss mit dem Thema Entrepreneurship. Daran können wir erkennen, ob eine Unternehmung tatsächlich Freiraum gewährt und aushält oder ob sie ihn nur als kulturellen Deckmantel oben drüberlegt.

Mit organisationaler Ambidextrie ist auch gemeint, dass man Experimente macht, in bestimmten Bereichen richtig schnell zu sein und in anderen wie gehabt weiterarbeitet, um das laufende Geschäft nicht zu gefährden. Was finden Sie daran falsch?

So was tun wir durchaus auch. Aber wir sortieren das nicht in altes und neues Management. Jedes Geschäft kann unterschiedlichste Phasen gleichzeitig haben. Es kann sein, dass wir in einer Firma Bereiche haben, die konsolidiert werden müssen und mehr Stabilität brauchen, und dass wir gleichzeitig anderswo agil sein wollen. Das ist eine bunte Mischung. Dieses Denken, die neue Welt geht anders und nur mit Kapuzenpulli, die halte ich für zu einfach. Über Jahre hat sich ein gewisser Mainstream herausgebildet, der sehr stark status-orientiert war. Jetzt kommen neue Modelle dazu, die sich damit mischen.

Sie können Agilität verkünden, soviel Sie wollen: Solange das Controlling die Kostenstellenstrukturen befriedigt, ist Schluss mit dem Thema Entrepreneurship.
Christof Horn

Wie ist Ihre Netzwerkorganisation genau aufgebaut?

Es gibt für die rund 30 Firmen verschiedene Zellen und technische Strukturen. Die Töchter verabreden selbst untereinander, wie sie ihr Wissen teilen und zusammenarbeiten. Das kann von projektbezogenen Themen bis zu Joint Ventures zwischen Töchtern reichen. Es gibt zwar auch immer wieder Themen, die wir aus Sicht der Gruppe zum Laufen bringen müssen. Aber meist werden die Dinge, um die sich die Töchter nicht selbst kümmern, auch nicht stattfinden. Unsere Organisation ist ständig im Wandel. Wir haben immer an irgendeiner Stelle Reorganisation und müssen uns die Strukturen anschauen – etwa, wenn wir einen Generationswechsel haben, Töchter immer größer werden und sich konsolidieren, wir innovative kleine Firmen in die Gruppe einbringen möchten oder wir externe Firmen übernehmen. Wir haben praktisch zu jedem Zeitpunkt Firmen in unterschiedlichstem Lebensstadium mit all den Themen, die dabei zum Vorschein kommen. Dieser konstante Veränderungsprozess ist mit viel Reibung verbunden und nicht einfach.

Organisation im steten Wandel 

Sie gründen im Jahr etwa vier bis fünf Unternehmen. Wie schaffen Sie es, so innovativ zu sein?

Wir bieten einen hohen Freiheitsgrad, aber weniger Möglichkeiten, klassisch Karriere zu machen. Die Menschen, die zu uns kommen und sich hier wohlfühlen, verstehen irgendwann, dass sie trotzdem sehr viel erreichen können, wenn sie selber aktiv sind. Wir steuern nicht die Abgrenzung von Aufgaben, sondern die Kooperationen und die Beziehungen zwischen Menschen. Dafür haben wir ein ganzes Set an Möglichkeiten, Mitarbeiter miteinander zu vernetzen. Je besser die Beziehungen zwischen den Leuten in den Firmen sind, desto besser performen sie auch. 

Wie vernetzen Sie Ihre Mitarbeiter ganz konkret?

Eines unserer Tools ist das sogenannte P200, wo wir die 200 wichtigsten Leute rund um die Firma zusammen holen. Wer die Wichtigsten sind, haben wir aber nicht fest definiert. Das sind Menschen, die aktuell eine bestimmte Funktion oder Bedeutung in der Firma haben. Sie sind aus unterschiedlichen Gründen die derzeitigen Kompassnadeln. Es gibt kein klares Regelwerk, wie die Vernetzung abzulaufen hat, sondern wir schauen uns nur an, an welchen Stellen das funktioniert und wo wir vielleicht moderativ eingreifen müssen, um zu einem besseren Ergebnis zu kommen. Auch bei uns gibt es politische Themen und Einzelinteressen, die Mitarbeiter durchzusetzen versuchen. All das schleppt man auch als Netzwerk mit sich herum. Wir sind nicht die besseren Menschen und es gibt alle möglichen Probleme, wie in anderen Firmen auch. Wir haben nur einen anderen Weg gewählt, das zu lösen.

Auch eine Netzwerk-Firma braucht Struktur und einen Orientierungsrahmen.
Christof Horn

Haben Sie überhaupt klassische Führungspositionen?

Auch eine Netzwerk-Firma braucht Struktur und einen Orientierungsrahmen – zum Beispiel bei der Frage, wer entscheidet, wer informiert, wie Geld verteilt wird und wo Innovation entsteht. Also gibt es auch bei uns Führungsrollen sowie offizielle und inoffizielle Hierarchiestufen. Aber das sollte nicht dem persönlichen Status dienen, sondern steht im Dienst der Organisation. Das ist durchaus schwierig, weil Menschen sehr stark nach Sicherheit, Routine und einer Heimat in der Firma streben. Bei uns ist es aber so, dass die Dinge auch mehrdeutig sein können. Wir haben mehrere überlappende Hierarchiestufen und Organisationsstrukturen – je nach Sicht auf die Firma, also wenn es zum Beispiel um Entscheidungsprozesse, Information oder wirtschaftliche Dinge geht.

Das hört sich ziemlich unübersichtlich an. Wie wissen Mitarbeiter, wer wann etwas entscheidet?

Natürlich sind die Entscheidungswege in klassischen Pyramidenstrukturen einfacher. Aber für die Mitarbeiter muss das gar nicht unübersichtlich sein. Für sie ist völlig klar, mit wem sie über Geld sprechen, wer zu inhaltlichen Themen Auskunft oder Orientierung gibt und wie ihr Weg aussieht, um hier etwas zu werden. Wir sind davon überzeugt, dass jeder Mitarbeiter genauso schlau, schnell, intelligent und innovativ ist wie der Kopf der Organisation. Diese verschiedenen Sichten müssen wir zusammenbringen, um Entscheidungen fundierter zu machen. Letzten Endes ist der Aufwand, Fehlentscheidungen zu vermeiden, immer hoch. Auch in vielen Großkonzernen kommt es trotz klarer Struktur zu Abstimmungsverzögerungen. Wir versuchen Entscheidung soweit wie möglich „unten“ stattfinden zu lassen und so wenig wie möglich nachzuregulieren. Dafür gilt es auszuhalten, dass Entscheidungen vielleicht auch mal konträr zu Firmeninteressen laufen.

Überlappende Hierarchiestufen

Was passiert, wenn Mitarbeiter Entscheidungen nicht akzeptieren möchten, die woanders getroffen wurden?

Das ist in der Tat eine tägliche Herausforderung. Wenn wir zu unserer Haltung stehen, müssen wir damit leben, dass eine Tochterfirma oder irgendein Mitarbeiter eine Entscheidung nicht akzeptiert oder eine andere Entscheidung trifft. Dann kann man versuchen, zu einem Konsens zu kommen, weil es einen Mehrwert für beide Seiten gibt. Es kann aber auch sein, dass es nicht dazu kommt. Typisch sind Fragen, mit denen sehr viele zu tun haben, wie etwa die Gestaltung der IT-Infrastruktur. Die Meinungen können dazu sehr unterschiedlich sein – zum Beispiel beim Thema Authentifizierung. Je nachdem, wie die IT aufgebaut ist, kann das Auswirkungen auf das Geschäft haben. Solche Themen greifen auch, wenn ich ein neues Auslandsgeschäft gestalte und ein neuer Standort aufgemacht wird. Es gibt viele Player, die dabei mitreden, wie wir das Ganze nach vorne bringen, wer mithilft und wie die Zusammenarbeit in der Technik aussieht. 

Welchen Kardinalfehler sollte man vermeiden, wenn es um Innovation und Führung geht?

Alteingesessene Unternehmen schauen so lange leidenschaftslos auf neu aufkommende innovative Themen, bis sie relevant werden. Sobald diese Innovationsinseln größer und vielleicht auch bedrohlich für das Bestandsgeschäft werden oder zu starken Veränderungen führen würden, haben viele plötzlich ein Problem damit. Die Versuchung ist groß, dann anzufangen, die neuen Pflänzchen wieder einzunorden oder in die Organisation zurück zu holen. Die wesentliche Frage ist: Sind wir in der Lage, das, was wir über Agilität oder Unternehmertum erzählen, dann auch tatsächlich zu leben? Wenn wir Innovation predigen, sollten wir sie auch zulassen.