New Work Agilität

Das Ende des Büros?

Die Welt der Informationstechnologie wandelt sich schneller und schneller. Wie stellen sich IT-Verantwortliche von heute dieser Wandlungsgeschwindigkeit, den Anforderungen der neuen Arbeitswelt und behalten ihren IT-Zoo aufgeräumt? Andreas Plaul berichtet aus dem Alltag als CIO. Diesmal: „Hybride Arbeitswelten“

Foto: Ehimetalor Akhere Unuabona on Unsplash
Foto: Ehimetalor Akhere Unuabona on Unsplash

Verlust der Zusammengehörigkeit

Es scheint, als habe die aktuelle Gesundheitskrise klassische Arbeitsmuster und Teamstrukturen nachhaltig zerschlagen. Bisher gelebte Rituale im Büro, an einem Standort, liegen brach. In der Isolation ihrer Homeoffice-Realität klagen viele Führungskräfte, sie wüssten nicht, wie sie ihre Teams weiterhin führen und vereinen könnten. Angst vor fehlender Nähe und oft auch vor Kontrollverlust breitet sich aus.

Es geht die Angst um, dass ein Team ohne gemeinsame Präsenz kein Team mehr ist.

Wie merke ich, dass ein Kollege den Anschluss verliert? Wie stelle ich sicher, dass mein Team Aufgaben in der gleichen Ernsthaftigkeit erledigt, wie es bisher der Fall war? Fragen über Fragen, doch wo sind die Antworten?!

Natürlich stimmt es, dass eine wichtige Komponente der Arbeitswelt vor Corona fehlt: die Präsenz. Wo Menschen bislang physisch anwesend waren, erlebbar und nahbar, treten jetzt Arbeitsergebnisse und Extrakte wie Audio- und Videokonferenzen in den Vordergrund. Der Mensch in seiner Ganzheit fehlt. Das hört sich erstmal herausfordernd an.

Das Ende der Arbeitswelt, wie wir sie kennen?

Der Eindruck stimmt. Und er stimmt auch nicht. Wir gingen davon aus, dass die Präsenz eines Menschen auch Nahbarkeit erzeugt. Wir interpretierten physische Anwesenheit als automatische Integration ins Team. Doch das ist ein Missverständnis. Auch im Blick auf den Wandel des Arbeitsmarktes wird häufig unterschätzt, dass dieses falsche Teamverständnis Konsequenzen hat: unglückliche Menschen und ineffektive Teams.

Ich musste erleben, dass trotz ständiger physischer Präsenz geschätzte und kompetente Kolleginnen und Kollegen sich umorientieren, ohne zuvor das Gespräch zu suchen. Aber auch, dass effektive Teams über Kontinente und technische Hürden hinweg ohne hohen Präsenzanteil funktioniert haben. Das heißt: Allein die Tatsache, dass Menschen sich an einem Ort versammeln, verhindert weder, dass sie kündigen, noch ist die Anwesenheit zwingend notwendig für eine tiefe Verbundenheit im Team. Damit stellt sich eine wichtige Frage: Wie haben es verteilte Teams geschafft echte und erfolgreiche Teams zu sein, ohne jeden Tag Seit an Seit im gleichen Büro zu arbeiten?

Allein die Tatsache, dass Menschen sich an einem Ort versammeln, verhindert weder, dass Kolleg:innen kündigen, noch ist die Anwesenheit zwingend notwendig für eine tiefe Verbundenheit im Team.

In meiner Rolle als CIO spielen Technologien und deren zielgerichtete Nutzung eine wichtige Rolle. Wir müssen heute nicht nur schneller skalieren, zielgerichteter umsetzen und kosteneffizienter liefern, sondern auch Geschäftsmodelle neu denken, Möglichkeiten aufzeigen und ganz allgemein Technologie und unternehmerisches Handeln miteinander verweben. Eine besondere Herausforderung stellt die zielgerichtete Nutzung von Cloud-Umgebungen dar.

Die Cloud bietet viele der gewünschten Eigenschaften, allerdings brauchen wir für effektive Cloud-Lösungen Menschen mit der richtigen Expertise in einem effektiven Umfeld. Diese Experten brauchen wir nicht nur an einem Standort und wir finden sie auch nicht im ausreichenden Umfang an einem einzigen Standort. Daher habe ich mich vor einiger Zeit dazu entscheiden, diese Cloud-Experten als verteiltes Team mit Hauptstandort in Rumänien aufzubauen. Nicht ohne Bedenken.

Erfolgsfaktor Kultur

Mir war klar: Die einfache Ansage „Hier ist eure Aufgabe, lauft los und das wird schon“, reichte nicht aus. Also haben wir in diesem Team von Anfang an bewusst offen und direkt über Probleme gesprochen, über unsere Erfahrungen, über Herausforderungen und Anforderungen im jeweiligen Alltag. Darüber formte sich im Team, das wir heute „Cloud Guys“ nennen, ein starker Zusammenhalt, ein Wir-Gefühl. Es bildeten sich quasi von allein regelmäßige Austauschformate. Es bildeten sich Initiativen. Es bildete sich ein Team. Ohne, dass alle Mitarbeitenden ständig am selben Ort sein mussten. Dieser mittlerweile über Jahre erfolgreiche Weg hat sich auch und besonders in der aktuellen Pandemie bewährt.

Purpose, Vertrauen, Freiräume und Respekt sind die entscheidenden Faktoren für den Teamerfolg über Standorte hinweg.

Heute haben wir eine etablierte Community von Cloud-Experten, die über Ländergrenzen hinweg Produkte, Services und Beratung in exzellenter Qualität zur Verfügung stellen. Die Cloud Guys verbindet im Kern eine Sache: Ihre Leidenschaft für Cloud-Themen und das Wir-Gefühl.

Was hat dieses Teammodell erfolgreich gemacht? Welche Voraussetzungen für den Erfolg haben sich wie von selbst gebildet? Die Antworten auf diese Fragen können helfen, die nach-pandemische Arbeitswelt zu gestalten. Für mich sind die folgenden Punkte entscheidend:

  • Purpose. Unausgesprochen war das Ziel klar. Die gemeinsame Leidenschaft für eine Technologie und der Wunsch, übergreifend als Möglichmacher im Unternehmen zu handeln, räumte die Frage nach dem „Why?“ von Anfang an aus.
  • Sprache. Es geht nicht um Deutsch, Englisch oder Rumänisch. Über die Leidenschaft entstand ein gemeinsamer Jargon aus Fachbegriffen und Floskeln. Man hat sich verstanden.
  • Vertrauen. Ganz vorne in der Zusammenarbeit stand die Prämisse, dass alle Kolleginnen und Kollegen in einem psychologisch sicheren Raum arbeiten, jeder und jede so sein konnte, wie er oder sie sind. Kein Rollenspiel, Unterschiedlichkeit, neudeutsch Diversity, war explizit gewünscht.
  • Freiräume. Macht sich das Unternehmen auf den Weg, unterschiedlichste Produkte und IT-Landschaften in die Cloud zu bringen, steht am Anfang keine einzelne harte KPI. Es geht um die Frage, wie man sinnvoll und passgenau eine Arbeit mit der Cloud realisieren kann. Dieser lösungsorientierte Ansatz schuf kreative Freiräume, in denen sich die Mitarbeiter entfalten können. Und es weckte den Ehrgeiz der Individuen, gemeinsam etwas zu schaffen.
  • Respekt. Unabhängig von den länderspezifischen Unterschieden brachte jeder Kollege, jede Kollegin einen Rucksack voller Fachwissen und Können mit, der einen eher in der Umsetzung von Hosting-Lösung, die andere in Fragen der Informationssicherheit und der nächste vielleicht in der technologiespezifischen Besonderheit eines Cloud-Anbieters. Damit hatte jeder und jede eine natürliche Rolle und eine bestimmte Fähigkeit im Team, für welche sie respektiert wurde.

Die Führungskraft hat vor allem eine Rolle: Sie muss Räume öffnen, Möglichkeiten sehen und ergreifen und Unruhe vermeiden.

Physische Anwesenheit spielt keine Rolle

Bei all den genannten Faktoren spielt ein Faktor keine Rolle: die physische Anwesenheit. Die Erfolgsparameter beziehen sich auf weiche Faktoren, darauf, das menschliche Bedürfnis nach Sinn und Anerkennung zu befriedigen. Dazu ist kein physisches Büro nötig, sondern eine Umgebung. Die auch rein virtuell sein kann. Die Führungskraft hat vor allem eine Rolle: Sie muss Räume öffnen, Möglichkeiten sehen und ergreifen und Unruhe vermeiden. Die Führungskraft ist der Wärter in der IT als Zoo.

Der wesentliche Erfolgsfaktor in der neuen Arbeitswelt ist, zur richtigen Zeit die richtigen Werkzeuge zur Verfügung zu haben und sie einsetzen zu können.

Nicht das Ende des Büros

Die aktuelle Pandemie hat mir klar gezeigt, dass wir in den mentalen Fesseln einer auf Präsenz ausgerichteten Arbeitswelt gefangen waren. Ich sehe einer Zukunft entgegen, in der Führungskräfte mehr gestalten können denn je. Und in der sich Führungskompetenz darin zeigt, wie sie Frage nach den Zielen beantwortet. Alles andere ist Handwerkszeug.