New Work Digitalisierung

Wollen wir nur noch in Videokonferenzen leben?

Kommentar Die Welt der Informationstechnologie wandelt sich seit Jahren immer schneller und schneller. Wie stellen sich IT-Verantwortliche von heute dieser Wandlungsgeschwindigkeit, den Anforderungen der neuen Arbeitswelt und behalten ihren IT-Zoo aufgeräumt? Andreas Plaul berichtet aus seinem Alltag als CIO. Diesmal: „Wollen wir wirklich nur noch Videokonferenzen?“

Foto:  Richard Horvath on Unsplash
Foto: Richard Horvath on Unsplash

Schöne neue Welt

Die erzwungene neue Arbeitswelt durch und nach Corona fühlt sich erst einmal gut und richtig an. Die hybride Arbeit ermöglicht die Vereinbarkeit von Familie und Büro. Auch private Termine und Freizeit lassen sich mit dem beruflichen Engagement einfacher vereinbaren. Wir nutzen verschiedene technologische Möglichkeiten, um möglichst effizient gemeinsam zu arbeiten. Damit rücken auch neue Arbeitsmärkte in Reichweite, und Standort übergreifende Arbeit ist kein Problem mehr. Anfängliche Bedenken wegen fehlender verbindender Elemente oder einer emotionalen Distanz aufgrund nicht-persönlicher Interaktion weichen einem Erleben von Flexibilität und Selbsterfüllung. Wir haben das neue Normal akzeptiert und schätzen gelernt.Und dennoch bleibt in meinem Kopf eine kleine Stimme, die mich immer wieder fragt „Geht da noch mehr?“.

Warum ist mein innerer Kritiker unzufrieden mit der Aussicht, in den nächsten 20 Jahren im 30- oder 60-Minutentakt von Videokonferenz zu Videokonferenz zu springen, dort Themen und Gedanken zu ordnen, zu kommunizieren und Ergebnisse zu strukturieren?

Doch woher kommt diese Stimme? Warum ist mein innerer Kritiker unzufrieden mit der Aussicht, in den nächsten 20 Jahren im 30- oder 60-Minutentakt von Videokonferenz zu Videokonferenz zu springen, dort Themen und Gedanken zu ordnen, zu kommunizieren und Ergebnisse zu strukturieren? Eins ist sicher: Ein Zurück zum Zustand vor der Pandemie wird es nicht mehr geben. Wir haben den Beweis erbracht, dass hybride Arbeit effektiv und effizient ist. Dennoch: Es fehlt etwas.

Im Büro mit Menschen erleben wir eine ganz eigene Art der Zusammenarbeit – man steht auf, unterhält sich, landet beim Whiteboard und illustriert etwas. Und findet sich plötzlich in einer fachlichen Diskussion wieder, die begeistert und motiviert. Verantwortlich dafür sind meiner Meinung nach nicht nur die räumliche Nähe und das direkte Nebeneinander. Verantwortlich ist vor allem der Fokus. Sinneserfahrungen und auch Bewegung erzeugen Fokus, die Gedanken tauchen im Diskurs in eine gemeinsame Welt ein.

Im Büro mit Menschen erleben wir eine ganz eigene Art der Zusammenarbeit. Verantwortlich dafür sind meiner Meinung nach nicht nur die räumliche Nähe und das direkte Nebeneinander. Verantwortlich ist vor allem der Fokus.

Videokonferenzen verleiten zum Gegenteil. Der Monitor vor mir, oft mehr als einer, und die unzähligen Symbole, Programme und Signale, die im Hintergrund von Videokonferenzen auftauchen, verleiten mich dazu, mich mit verschiedenen Kontexten zu beschäftigen. Während eines Termins lese und beantworte ich manchmal Mails, ich schaue in den sozialen Medien nach Aktuellem und ich beantworte Chat-Nachrichten. Während ich spreche, bin ich gedanklich schon bei der nächsten Folie der Präsentation oder suche nach Dokumenten. Ich befinde mich zwar in einer Videokonferenz, muss aber bewusst daran arbeiten, den Fokus zu halten.

Multitasking kann zur Steigerung der Effizienz beitragen. Wenn ich mich konzentriere, kann ich so am Tag meine Mails beantworten und in verschiedenen Angelegenheiten, auch dank direkter Kommunikation via Chat und Co., aktiv gestalten. Es ist anstrengend, aber auch befriedigend, dabei zu sein und mitzuarbeiten. Und dennoch: Der Fokus geht verloren. Oft kommen wir im je eigentlichen Thema nicht weiter, sprechen immer wieder über bereits Bekanntes oder verlieren uns im Plaudern. Wir tauchen nicht gemeinsam in Themen ein. Es fehlt an Immersion.

Direkte, nicht-virtuelle Kommunikation ist extrem vielschichtig.

Immersion eröffnet neue Räume

Unsere Sinne spielen eine zentrale Rolle in der Steuerung unseres Gehirns. Über sie tauschen wir uns mit der Welt aus und treffen jeden Tag lebenswichtige Entscheidungen. Darüber haben sich in der Geschichte des Menschen natürliche Verhaltensmuster entwickelt. Gerüche führen direkt zur Aktivierung von Erinnerungen und schützen uns so vor wiederholten Fehlern. Fotos können Emotionen hervorrufen, lassen uns an vergangene Erfahrungen denken. Non-verbalee Kommunikation kann Nähe schaffen und unterstreicht das Gesagte. Direkte, nicht-virtuelle Kommunikation ist extrem vielschichtig.

Emotionen, Erinnerungen und Verhaltensmuster spielen eine große Rolle in der menschlichen Interaktion, im Erleben der Umwelt, im Lernen. Erst die Nutzung der unterschiedlichen Fähigkeiten unseres Gehirns versetzt uns in die Lage, große gedankliche Leistungen zu vollbringen.

Beim hybriden Arbeiten kommt den Sinnen und dem Erleben eine untergeordnete Rolle zu. Wir reduzieren uns auf das Hören. Selbst bei Videokonferenzen, in denen alle ihre Kameras nutzen, wird das Gegenüber nach gewisser Zeit nur noch eingeschränkt visuell wahrgenommen, wenn überhaupt, konzentrieren wir uns aufs Hören. Die Sinne werden unterfordert.

Und das ist schlecht, denn Emotionen, Erinnerungen und Verhaltensmuster spielen eine große Rolle in der menschlichen Interaktion, im Erleben der Umwelt, im Lernen. Erst die Nutzung der unterschiedlichen Fähigkeiten unseres Gehirns versetzt uns in die Lage, große gedankliche Leistungen zu vollbringen.

Bei virtuellen Realitäten prägten New Media-Künstler wie Char Davies oder Maurice Benayoun und Größen aus dem Game Design wie Richard Bartle den Begriff der Immersion. Das „echte“ Eintauchen in virtuelle Welten soll helfen, die gleichen Sinne anzusprechen wie in unserer erlebten Realität. Angefangen bei Bild- und Tonmedien aus der Videoübertragung über Brillen bis zum Ganzkörperanzug mit haptischen Signalen. Genau diese Eindrücke helfen, eine immersive Erfahrung zu gestalten, dem Gehirn erlauben, mit Fokus, Emotionen und Erinnerungen engagiert zu agieren.

Am Ende kommt es auf die Mischung an aus Präsenz, Videokonferenzen und immersiven Erlebnissen. Und noch ist diese Mischung nicht ausgewogen.

Eine Frage der richtigen Technologie?

Technologie ist nie die Lösung, sondern immer nur ein Mittel zum Zweck. Wir müssen wir uns deshalb die Frage stellen: Welches Problem möchten wir lösen? Abhängig vom Problem oder besser der Aufgabe, gibt es unterschiedliche technologische Mittel. Und die Aufgaben sind vielfältig:

  • Austausch von Wissen
    Hier steht Kommunikation sicher im Vordergrund, allerdings nicht singulär. Verschiedene Menschen können Wissen über unterschiedliche Kanäle bestmöglich aufnehmen. Textinhalte und Videokonferenzen bilden eine geeignete Grundlage, visuelle Darstellungen und auch motorische Kollaboration unterstützen aber viele Menschen maßgeblich im Verständnis.
  • Soziale Gruppenerfahrungen
    In der Gruppe agiert der Mensch unbewusst und bewusst. Durch Körpersprache und Position im Raum entwickeln sich natürliche zwischenmenschliche Interaktionen zwischen allen Teilnehmern. Eine virtuelle Darstellung des Raums, aber auch VR-Brillen, vielleicht in Kombination mit Präsenzmeetings, machen Teamentwicklung möglich
  • Innovation
    Kreativität braucht Freiräume. Besonders in trockenen Videokonferenzen scheint es wenig Freiraum zu geben. Hier sehe ich das größte Potenzial für Augmented und Virtual Reality- Technologien. Ganze Werkzeugkoffer voller Möglichkeiten zur „Gamification“ der Zusammenarbeit warten in den Metaversen großer Technologiekonzerne. Spielen fasziniert alle Altersgruppen und führt zu mehr Konzentration und mehr Kreativität.
  • Problemlösung
    Die meisten Probleme lassen sich mit einem strukturierten Standardvorgehen analytisch lösen. Hier spielen etablierte Werkzeuge aus dem Projektmanagement eine große Rolle. Hinzu kommen weitere Lösungen für gemeinsames Whiteboarding, Wireframing etc., mit deren Hilfe man auf dem Bildschirm oder in virtuellen Realitäten frei drauf los malen kann. Manchmal hilft aber auch nur die direkte Konfrontation mit dem Thema in Präsenzmeetings oder in virtuellen Realitäten
  • Vertrauen
    Für eine effektive Zusammenarbeit braucht es eine Vertrauensbasis. Vertrauen entsteht, wenn sich Menschen gegenseitig öffnen. Das ist In meiner Erfahrung in virtuellen Meetings oder Chats nahezu unmöglich. Ohne Körpersprache und räumliche Nähe verliert Information an Intension und Emotion.

Es gibt noch unzählige weitere Situationen, in denen eine „One-Size-Fits-All“-Lösung wie Videokonferenzen nicht wirklich weiterhelfen. Am Ende kommt es auf die Mischung an aus Präsenz, Videokonferenzen und immersiven Erlebnissen. Und noch ist diese Mischung nicht ausgewogen. Daher sehe ich es als Auftrag an jeden CIO, die richtigen Werkzeuge bereitzustellen, um die Herausforderungen hybrider Arbeitswelten im Heute und Morgen zu lösen.

Ich sehe es als Auftrag an jeden CIO, die richtigen Werkzeuge bereitzustellen, um die Herausforderungen hybrider Arbeitswelten im Heute und Morgen zu lösen.

Wir beschäftigen uns dazu in kleinen Gruppen und MVPs mit den aktuellen Möglichkeiten in den Metaversen. Und wir sind uns sicher, dass hier viele Innovationen auf uns warten, die nicht nur die Überwindung von räumlichen Entfernungen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, sondern langfristig auch Zufriedenheit und Erfolg der Menschen unterstützen. Damit wir die nächsten Jahre nicht nur in Videokonferenzen verbringen.