Business Transformation Digitalisierung

Dezentral oder zentral – wo stehen die IT und ihre CIOs?

Kommentar Trotz der generellen Bedeutung der IT und der wiederkehrend gezeigten Fähigkeiten kämpft die Corporate-IT als zentraler Bereich immer noch damit, zentrale Services zu erbringen und gleichzeitig in einer dezentrale Unternehmensstruktur passgenau zu agieren.

Foto: Jonas Krüger
Foto: Jonas Krüger

Die IT ist häufig in eine föderalistische Unternehmensstruktur eingebettet 

Im letzten Artikel haben wir darüber gesprochen, dass die Reife der IT weiterentwickelt werden muss, um für Generative AI-Initiativen gerüstet zu sein. Dies kann nur erfolgreich sein, wenn die IT sich im Unternehmen den Strukturen anpasst und Klarheit über die eigene Rolle herrscht. Gehen wir dazu einen Schritt zurück, um die Corporate-IT allgemein zu klassifizieren, als Teil der Corporate Service-Bereiche, die übergreifende Aufgaben im Unternehmen wahrnehmen und oft nicht direkt an der Umsatzgenerierung oder Marktinteraktion beteiligt sind. 

Die Integration der IT in föderalistische Unternehmensstrukturen mit einer Vielzahl von dezentralen Handlungsfeldern birgt sowohl Chancen als auch Risiken für Corporate Service-Bereiche, ganz im Bilde des Spannungsfeldes zwischen Fokussierung und Zerfaserung. Wenn wir als Unternehmen über verschiedenste Produkte und Kundensegmente hinweg Leistungen am Markt erbringen, in die IT-Leistungen eingebettet sind, kann es besonders von Vorteil sein, wenn diese Marktkomplexität durch mehrere Business Groups, die ganz bewusst autonom voneinander agieren, abgebildet wird.  

Wenn Unternehmen über verschiedenste Produkte und Kundensegmente hinweg Leistungen am Markt erbringen, kann es sehr sinnvoll sein, wenn sich diese Marktkomplexität in mehreren autonom agierenden Business Groups manifestiert. 

Diese Autonomie kann sich neben unterschiedlicher Kundenansprache und Go-to-Market-Strategien auch beispielsweise in verschiedenen Technologie-Stacks darstellen , mit dem  Produkte erstellt werden. Angefangen bei der Wahl der passenden Cloud-Plattform wie AWS, Azure oder Google bis hin zu den verschiedenen verwendeten Programmiersprachen und deren Frameworks. Eine dezentrale Verantwortung für Technologieentscheidungen verortet direkt in den Business Groups kann daher ein echter Wettbewerbsvorteil sein. Dementsprechend muss die Corporate-IT die Ambidextrie von zentralen Services und dezentraler Nutzung aktiv gestalten. 
Die Vorteile der Freiheitsgrade können aber sehr schnell zum Nachteil werden, wenn mit mehreren hundert Produkten skaliert und der gemeinsame Technologiestack weiterentwickelt werden soll.  

Auch eine dezentral denkende Corporate IT stellt zentrale Services bereit  

Die lässt sich einfach am Beispiel von Cloud-Plattformen darstellen. Auch wenn einige mittelständische Unternehmen eine Multi-Cloud-Plattform Strategie (z.B. in AWS, und/oder Azure) verfolgen, wird es nur wenigen Unternehmen gelingen und sinnvoll erscheinen, eine Vielzahl von Cloud-Plattformen effektiv und effizient dezentral zu betrieben. Hier kann die zentrale Unterstützung der Corporate IT auch in einem föderalen Unternehmen sinnvoll sein, um durch zentrale Nutzungsangebote von ein oder zwei Cloud-Plattformen echte Synergien zu realisieren und vor allem die wichtige Time-To-Market der dezentralen Geschäftsbereiche durch sogenannte „Turn-Key“-Lösungen zu minimieren. 

Als weiteres Beispiel können zentrale DevOps-Tools genannt werden, die ebenso eine gute Unterstützung für föderalistische Unternehmensstrukturen sein, um von Skalen- und Synergieeffekten zu profitieren. Insbesondere bei neuartigen AI DevOps im Bereich der Versionskontrolle (z.B. mit Github Copilot) profitieren viele verteilte DevOps  direkt von einem zentralen Angebot einer Corporate IT.  Aber auch allgemein notwendige Tools zur Unterstützung des Softwareentwicklungsprozesses im Bereich Testing sind sinnvoll als zentrale Corporate IT Services anzubieten. Zentrale Test- und Automatisierungswerkzeuge sind weitere Beispiele für zentrale Services einer Corporate IT. 

Die genannten Beispiele der Auswahl von Cloud-Plattformen, zentralen DevOps-Tools oder zentralen Test- und Automatisierungstools im Kontext von DevOps sind Beispiele dafür, dass eine Corporate IT immer einen fassbaren Mehrwert hat, unabhängig davon, ob sie zentral oder dezentral in eine Organisationsstruktur eingebettet ist. Somit wirkt die IT nicht nur in ihren klassischen Themen, wie Infrastruktur, Prozessrealisierung via ERP, CRM und HR-System oder dem digitalen Arbeitsplatz, sondern agiert sehr nah an der direkten Wertschöpfung im Unternehmen.  

Dezentrale IT mit Vetorecht

Es gibt Situationen, in denen die IT ein Vetorecht oder zumindest ein klar formuliertes Mitspracherecht haben muss. Dies können z.B. verbindliche interne Richtlinien oder Mindeststandards rund um Technologien und Systeme sein. Ebenso können Themen aufkommen, die in das klassische Umfeld der IT, wie oben beschrieben, negativ einwirkt. Insbesondere bei Sicherheits- und Datenschutzentscheidungen oder bei Compliance-Themen rund um Technologien ist die IT gefragt. So kann die IT beispielsweise bei internen Risikobetrachtungen zur Einführung neuer Software oder Produktänderungen ein Veto einlegen. Natürlich darf es keine Vetos aus Befindlichkeit geben, sondern müssen argumentativ platziert werden. Klar ist aber auch, das in einer föderalistischen Organisation vorkommen kann, dass dieses Veto durch gegenläufige Mehrwerte wie schnelles dezentrales Handeln oder Geschäftserfolg stark hinterfragt und schlussendlich auch überstimmen wird. 

Der CIO von heute ist Opportunist und Visionär zugleich.

Gerade wir als CIOs und gesamtes IT-Management tun uns manchmal schwer, diese Realitäten  bei bestimmten Themen und deren Status Quo zu akzeptieren. Dementsprechend gilt es immer wieder im Geiste einer „Koalition der Willigen“ zu handeln und nicht per Top-Down-Entscheidung. Als CIO müssen wir aber auch unser gesamtes Unternehmen in die Lage versetzen, durch zentrale Fähigkeiten schnell auf Trends und Marktveränderungen reagieren zu können. Dazu gehört aktuell die Bereitstellung von zentralen KI-Tools wie „Text-to-Speech“ oder „Text-to-Image“. Auch in einer dezentralen Unternehmensstruktur ist es nicht sinnvoll, solche Innovationswerkzeuge mehrfach dezentral in den Fachbereichen aufzubauen.  

Das Beispiel Generative AI zeigt, wie sich ein CIO von heute als Visionär etablieren kann, um auch in einer dezentralen Struktur zentrale skalierbare Systeme und Standards zu schaffen, die die Unternehmensstrategie nachhaltig unterstützen.  

Der CIO spielt eine zentrale Rolle für eine zentrale Einheit in einer dezentralen Struktur mit einem zentralen Ziel: Better IT. Better Business 

Die CIO von heute steht vor der großen Herausforderung, ständig die Balance zu finden, die Agilität und Innovationskraft einer dezentralen Organisation zu nutzen, ohne den Überblick oder die langfristige Vision aus den Augen zu verlieren. Es bedarf einer bewussten Mischung aus opportunistischen und visionären Führungsansätzen. CIOs spielen eine zentrale Rolle für eine zentrale Einheit in einer dezentralen Struktur mit einem zentralen Ziel: Better IT. Better Business.