Business Transformation Agilität

„Zum Experimentieren gehört auch, Entscheidungen zu korrigieren“

Interview Mehr Agilität, Wissensaustausch und Entscheidungsgeschwindigkeit – mit diesem Vorsatz initiierte die Otto Group vor fünf Jahren den „Kulturwandel 4.0“. Ein Gespräch mit Petra Scharner-Wolff, CFO und CHRO des Handels- und Dienstleistungskonzerns, über die Veränderungsagenda und ihre bisherige Erfolgsbilanz.

„Die Zentrierung auf Kundinnen und Kunden und die Wünsche der Beschäftigten sind überhaupt kein Widerspruch“, erklärt Petra Scharner-Wolff, CHRO und CFO der Otto Group. Foto: Otto GmbH & Co KG/ Otto Group
„Die Zentrierung auf Kundinnen und Kunden und die Wünsche der Beschäftigten sind überhaupt kein Widerspruch“, erklärt Petra Scharner-Wolff, CHRO und CFO der Otto Group. Foto: Otto GmbH & Co KG/ Otto Group

Kulturwandel für Zukunftssicherung

Frau Scharner-Wolff, wie war das 2015 mit dem „Kulturwandel 4.0“: Wer initiierte die Veränderung oder gab dafür den Impuls?

Der Kulturwandel war eine Folge unseres gesamtstrategischen Ansatzes, die Zukunftsfähigkeit der Unternehmensgruppe zu sichern. Wir waren zu diesem Zeitpunkt schon viele Jahre durch Transformationen gegangen und wollten noch einen Schritt weiterkommen, vor allem mit Blick auf die Digitalisierung. Tradierte Strukturen hinderten uns, flexibler, agiler und besser zusammenzuarbeiten – und damit auch wettbewerbsfähiger und innovativer zu werden. Wir brauchten neue Denk- und Handlungsmuster, eine veränderte Unternehmenskultur, um der rasanten Veränderungsgeschwindigkeit der Digitalisierung zu begegnen. Deshalb haben der Gesamtvorstand und unsere beiden Shareholder, Dr. Michael Otto und Benjamin Otto, den Kulturwandel 4.0 für die gesamte Unternehmensgruppe als offenen, partizipativen Prozess ausgerufen.

Wir brauchten neue Denk- und Handlungsmuster, eine veränderte Unternehmenskultur, um der rasanten Veränderungsgeschwindigkeit der Digitalisierung zu begegnen.
Petra Scharner-Wolff, CHRO und CFO, Otto Group

Sie hatten eine agilere Arbeitsweise, schnellere Entscheidungsfindung und mehr Selbstverantwortung im Sinn. Dafür hört sich der Start sehr top-down an…

Wir haben das bewusst sehr weit oben in der Hierarchie eingespielt. Wir wollten ein starkes Signal dafür setzen, dass der gesamte Vorstand hinter dieser Veränderung steht. Denn uns war von Anfang an klar, dass wir Veränderung nicht delegieren können, sondern bei uns selbst beginnen und Veränderung authentisch vorleben müssen. Wir haben dann direkt hierarchie- und firmenübergreifend gearbeitet. Jeder Vorstand und jede Gesellschaft im Konzern haben einen individuellen Weg gewählt.

Wie sind Sie persönlich herangegangen?

Gleich zu Beginn des Kulturwandel-Prozesses haben wir zu sogenannten Workstreams eingeladen: interdisziplinären, hierarchie- und firmenübergreifenden Arbeitsgruppen zu den großen inhaltlichen Veränderungsthemen. Ich habe mich in dem „Workstream People & Empowerment“ engagiert. In einer bunt gemischten Truppe haben wir übergeordnete Fragen adressiert, die viele von uns betrafen und für die niemand von uns eine Antwort hatte.

Es war Teil des Change, zu begreifen, dass der Kulturwandel nicht dazu dient, uns wohler zu fühlen, sondern dass wir mit dem Kulturwandel die Zukunftsfähigkeit der Otto Group sichern.
Petra Scharner-Wolff, CHRO und CFO, Otto Group

Bei derartigen Veränderungsinitiativen in Unternehmen kommt es häufig vor, dass Führungskräfte versuchen, den Wandel möglichst unbemerkt zu unterlaufen. Wie war das bei Ihnen?

Am Anfang haben einige gefragt, ob sie für den Kulturwandel ein extra Budget bekommen oder wohin sie die Stunden dafür buchen sollen. Für sie war das Business das eine und der Kulturwandel das andere. Es war Teil des Change, zu begreifen, dass der Kulturwandel nicht dazu dient, uns wohler zu fühlen, sondern dass wir mit dem Kulturwandel die Zukunftsfähigkeit der Otto Group sichern.

Führungskräfte quasi übersprungen

Führungskräfte werden klassischerweise an Finanzzielen gemessen und nicht an Kulturzielen. Wie haben Sie die Führungskräfte überzeugt, beim Wandel mitzumachen?

Erst einmal durch eine klare Positionierung, dass wir klassische Rituale bei dem Thema nicht bedienen werden. Der Kulturwandel ist für Führungskräfte am anspruchsvollsten. Viele dachten anfangs, das geht vorbei. Dann wurde schnell klar, dass wir es wirklich ernst meinen mit der Veränderung und dass der Kulturwandel tatsächlich ein fortlaufender Prozess ohne festgelegtes Ziel und Ende ist. Wir sind sehr radikal an den Wandel herangegangen.

Inwiefern?

In den hierarchieübergreifenden Workstreams haben wir die Führungskräfte quasi übersprungen. Vorher war es ja üblich, strategisches Wissen von oben nach unten durch die Organisation zu kaskadieren. Nun waren die Führungskräfte zwar dabei, aber sie spielten nicht die entscheidende Rolle. Das war sehr neu und im Nachhinein betrachtet ging das vielleicht ein bisschen zu schnell.

Der Kulturwandel ist für Führungskräfte am anspruchsvollsten. Viele dachten anfangs, das geht vorbei.
Petra Scharner-Wolff, CHRO und CFO, Otto Group

Würden Sie das heute anders machen?

Wir haben anfangs zu wenig kommuniziert. Wir haben die Führungskräfte, die direkt an den Vorstand berichten, teilweise sogar ausgeschlossen – weil wir schnell sein wollten, weil wir nicht die klassischen Hierarchiestrukturen bedienen und in den üblichen Kommunikationskaskaden unterwegs sein wollten. Für die Initialzündung war das gut und richtig, aber wir haben zu lange gewartet, um sie dann mit ins Boot zu holen. Ich würde heute vielleicht in kleineren Schritten vorangehen. Aber damals wollten wir unbedingt gleich eine andere Arbeitsweise ausprobieren. Es war schon ungewöhnlich, dass sich zum Beispiel ein Vorstand direkt bei den Beschäftigten meldet und sagt: „Ich habe hier ein Thema und zehn Plätze im Team, wer möchte mitmachen?“.

Waren denn die Mitarbeitenden da sofort dabei?

Nein, am Anfang hat sich niemand gemeldet. So einen Vorgang gab es ja vorher nie. Aber mit der Zeit haben die Beschäftigten den Freiraum angenommen, sich dabei teilweise auch recht kritisch positioniert. Da brauchte es dann Moderation. Kritik ist erlaubt, aber es geht darum, dass man in einen konstruktiven Dialog kommt. Wir haben erkannt, dass wir die Führungskräfte expliziter einbeziehen müssen. Es hat relativ viel Kraft gekostet, sie wieder stärker ins Boot zu holen. Denn sie waren dann natürlich etwas distanziert – nach dem Motto, „Warum habt ihr uns zunächst links liegen lassen?“. Mit mehr Transparenz und Selbstverantwortung kamen dann aber auch die ersten Erfolge: mehr Wissensaustausch und schnellere Entscheidungen. Das hat auch viele Führungskräfte überzeugt.

Neue Rolle von Führung

Wie hat sich die Rolle von Führung seither konkret verändert?

Der Fokus hat sich mehr in Richtung strategische Übersetzungsleistung für das Team verschoben. Führungskräfte müssen die Unternehmensvision auf ihre Themengebiete herunterbrechen und den passenden Arbeitsrahmen schaffen. Wir haben den Zugang zu Wissen stark liberalisiert; Informationen sind für alle sehr transparent. Führungskräfte sind dafür zuständig, dass die Beschäftigten damit gut umgehen können. Durch ihren Einblick und ihre Vernetzung können sie den Kontext oft besser verstehen und erklären. Es geht darum, Komplexität aushalten zu helfen oder auch mal herauszunehmen, indem man priorisiert. Dafür haben wir die Führungsrollen in vielen Bereichen aufgeteilt – manche haben einen stärker fachlichen Bezug und anderen fokussieren sich auf die „People Needs“ und die nötigen Skills der Beschäftigten.

Wie gehen Sie damit um, wenn Führungskräfte die neuen Rollen nicht so optimal ausfüllen, jedoch in finanzieller Hinsicht sehr gut performen?

Künftig werden die neuen Leadership-Komponenten in der Beurteilung eine ebenso wichtige Rolle spielen wie die finanziellen KPIs. Wir werten die Soft Skills also kontinuierlich auf und gleichen sie von der Gewichtung an andere Kennzahlen an. Wir befragen regelmäßig die Mitarbeitenden und führen 360-Grad-Feedbacks durch – da können Führungskräfte auf Dauer nicht bluffen. Wenn sie ein weniger gutes Feedback auslösen, suchen wir das Gespräch. Wenn wir damit nichts erreichen, kann es im Worst Case auch einmal zu einer Trennung kommen. Aber sie haben immer die Chance, ihren eigenen Weg im Kulturwandel zu finden, ohne sich zu verbiegen. Die Art der Führung soll authentisch bleiben.

Es geht darum, Komplexität aushalten zu helfen oder auch mal herauszunehmen, indem man priorisiert. Dafür haben wir die Führungsrollen in vielen Bereichen aufgeteilt – manche haben einen stärker fachlichen Bezug und anderen fokussieren sich auf die „People Needs“ und die nötigen Skills der Beschäftigten.
Petra Scharner-Wolff, CHRO und CFO, Otto Group

Inwiefern leben Sie die neue Art der Führung auf Vorstandsebene?

Vorstände brauchen weiterhin Fachexpertise, sie rückt aber weniger in den Fokus. Wir sind viel wirksamer, wenn wir uns nicht in jede Fachentscheidung hineindrängen. Deshalb verbringen wir heute noch mehr Zeit damit, unsere Führungskräfte passend auszuwählen, zu empowern und für Vernetzung zu sorgen. Wir haben einmal im Monat eine klassische Vorstandssitzung, in der wir formale Dinge entscheiden, und ebenso häufig ein Vorstandstreffen, das sich nur um den Kulturwandel dreht. Das Thema hat für uns so auch zeitlich ebenbürtiges Gewicht. Das ist wichtig, um aus dem Hamsterrad herauszukommen, und zeigt, dass wir unsere Veränderungsbereitschaft ernst nehmen und permanent an uns arbeiten.

Wie laufen diese Vorstandssitzungen zum Kulturwandel denn ab?

Am Anfang haben wir uns von einem systemischen Coach begleiten lassen, weil wir als Team nicht optimal aufgestellt waren. Auch wir hatten Silos und haben uns in der Diskussion oft blockiert. Wir erlebten auch herbe Rückschläge. Manchmal haben wir uns irgendwo in der Diskussion verloren und der Gesprächsfaden ist brutal abgerissen. Doch es ist uns immer besser gelungen, das zu thematisieren und zu merken, wenn wir abdriften. Seit etwa zwei Jahren arbeiten wir ohne Coach und binden stattdessen Mitarbeitende ein.

Ist es für Sie ein Thema, dass Sie ein rein männliches Kollegium haben oder glauben Sie, diese Anfangsschwierigkeiten hätten Sie auch mit Frauen erlebt?

In erster Linie sind wir ein sechsköpfiges Team aus unterschiedlichen Charakteren, die sich gegenseitig bereichern, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind. Sicherlich bringe ich Eigenschaften ein, die eher weiblich sind, aber das ist kein explizites Thema. Ich kann meine Themen klar und deutlich ansprechen – ob das an meiner Persönlichkeit oder an meinem Geschlecht liegt, vermag ich nicht zu beurteilen. Vielmehr haben wir im Kulturwandel-Kontext enorm daran gearbeitet, als Team zusammenzuwachsen und jenseits von inhaltlichen Auseinandersetzungen miteinander zu interagieren.

Gender Diversity ist ein wichtiges Thema, an dem wir leidenschaftlich arbeiten. Im Zusammenhang mit dem Gesetz für gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen hat sich die Otto Group ehrgeizige Ziele gesetzt.
Petra Scharner-Wolff, CHRO und CFO, Otto Group

Welche Rolle spielt Gender Diversity für den Konzern?

Das ist ein wichtiges Thema, an dem wir leidenschaftlich arbeiten. Im Zusammenhang mit dem Gesetz für gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen hat sich die Otto Group ehrgeizige Ziele gesetzt. Bis Ende 2021 streben wir in der erste Führungsebene 23 und in der zweiten 33 Prozent Frauen an. Wir sind hier definitiv auf einem guten Weg, müssen dafür aber weitere Schritte unternehmen.

Mehr Frauen in Führungspositionen

Welche genau?

Wir brauchen ein stärkeres Commitment. Dafür haben wir zum Beispiel einige Konzernfirmen identifiziert, in denen auf jeden Fall mindestens eine der Positionen in der Geschäftsführung von einer Frau übernommen werden soll – das ist klassischerweise das Sprungbrett ins Top-Management. Da geht es schon darum, in Besetzungsphasen noch härter zu ringen. Wir verlieren die Frauen bisher vor allem in der Familienphase. Deshalb müssen wir da flexibler werden, uns von bisherigen Karrieremustern lösen und neue Rollen schaffen. Aktuell läuft es teils noch nach dem Motto: Wer etwas werden will, muss mit 40 in der Geschäftsführung sein.

Sie haben selbst zwei Kinder und wurden mit 37 Jahren Geschäftsführerin der Schwab Versand GmbH, eines Tochterunternehmens der Otto Group…

Wer zwischendurch zwei Kinder kriegt, schafft das nicht, ohne stark in der eigenen Familienphase zurückzustecken. Um das zu ändern, müssen wir vor allem die Männer ermutigen, sich längere Erziehungszeiten zu nehmen. Nur so können wir zu einer gleichberechtigten Rollenaufteilung kommen. Wenn wir nach Frankreich oder Osteuropa schauen, ist Deutschland bei diesem Thema noch ein Entwicklungsland.

Nun arbeiten Sie im Konzern schon seit fünf Jahren am Kulturwandel. Wie schaffen Sie es, dranzubleiben und weiterhin Veränderungen anzustoßen?

Indem wir im Vorstand bei unseren Herzensthemen nicht nachlassen. Auch das Training der Führungskräfte ist ein wichtiger Schlüssel. Zudem sind wir dabei, die Aufbauorganisation neu aufzustellen, weil wir darin den nächsten Entwicklungssprung vermuten – auch für mehr Multiperspektivität. Wir arbeiten zum Beispiel daran, wie wir Diversität im Recruiting-Prozess stärken können. In einem Pilotprojekt ist dafür nicht nur HR verantwortlich, sondern wir lassen auch andere Fachbereiche mitentscheiden, was es für ein Recruiting mit Fokus auf Diversity und Inclusion braucht. Da ist aber vieles noch im Experimentierstadium.

Wir arbeiten daran, wie wir Diversität im Recruiting-Prozess stärken können. In einem Pilotprojekt ist dafür nicht nur HR verantwortlich, sondern wir lassen auch andere Fachbereiche mitentscheiden, was es für ein Recruiting mit Fokus auf Diversity und Inklusion braucht.
Petra Scharner-Wolff, CHRO und CFO, Otto Group

Holakratie, Spotify-Modell, Value-Stream-Organisationen – es gibt verschiedene Ansätze für neue Organisationmodelle, die Unternehmen agiler machen sollen. Was passt für die Otto Group?

Es kommt darauf an, was in der jeweiligen Situation der einzelnen Fachbereiche und Gesellschaften der wirksamste Ansatz ist. Wir probieren einiges aus, wenn wir eine operative Thematik haben, die wir lösen möchten. Wir fragen uns dann, welches Organisationsmodell in dem Fall am besten passt. Und zum Experimentieren gehört auch, Entscheidungen zu korrigieren, wenn etwas nicht funktioniert. Es gibt hier also keine zentrale Vorgabe der Holding, die wir weltweit ausrollen – dafür sind die Herausforderungen viel zu unterschiedlich. Manche Organisationen wachsen, andere stehen vor Veränderungsprozessen und wieder andere haben ein stabiles Bestandsgeschäft.

Keine gruppenweiten Vorgaben für Organisationsmodell

Am Kulturwandel arbeiten auch viele andere Unternehmen. Inwiefern bringt Sie Ihr Austauschformat Culture Development Experience dabei weiter?

Indem wir andere Organisationen zu diesem Austausch über Kulturwandel einladen, bekommen wir viele neue Impulse, teilen aber auch selbst unser bisheriges Wissen. Wir sind dabei offen für alle möglichen Branchen. Es waren schon Konzerne, Mittelständler, kleine Unternehmen und Behörden dabei. Normalerweise kommen sie zu uns in die Firma, nur in der Pandemie war es ein virtuelles Format. Wichtig ist uns das Prinzip der kollegialen Fallberatung: Hier muss niemand berichten, wie toll es im eigenen Betrieb läuft, sondern es wird offen und ehrlich über Herausforderungen gesprochen. Dafür bieten wir einen geschützten Raum. Außerdem veranstalten wir CEO-Vernetzungsrunden zum Kulturwandel.

Es gibt keine zentrale Vorgabe der Holding, die wir weltweit ausrollen – dafür sind die Herausforderungen viel zu unterschiedlich.
Petra Scharner-Wolff, CHRO und CFO, Otto Group

Ausprobieren ist auch beim Thema Arbeitsplatz im "New Normal" gefragt. Inwiefern braucht es für die neue Art der Zusammenarbeit noch ein physisches Büro?

Aktuell arbeiten wir pandemiebedingt noch vorrangig remote – außer in den gewerblichen Bereichen, die physische Präsenz erfordern. Die Zukunft wird dann aber sicherlich hybrid sein, daher ja: Wir brauchen weiterhin physische Büros. Die persönliche Begegnung halten wir auch für wichtig, um unsere Unternehmenskultur aufrecht zu erhalten. In vielen Konzernunternehmen haben wir unsere Beschäftigten gefragt, wo und wie sie am liebsten arbeiten möchten. Die meisten würden gern Präsenzarbeit und Remote Work mischen. Wie genau das aussehen kann, erarbeiten viele Beschäftigte im Konzern gerade gemeinsam und haben dabei immer die individuellen Gegebenheiten im Blick. Langfristig braucht es Konzepte, die flexibel und aktivitätsbasiert sind. Es wird sicher auch Tage geben, an denen wieder alle aus einem Team in einem Raum zusammenkommen. Wir werden uns aber insgesamt liberal aufstellen, weil wir in der Corona-Situation viele gute Erfahrungen mit remote Work gemacht haben.

Die Zukunft der Arbeit wird sicherlich hybrid sein, daher gilt: Wir brauchen weiterhin physische Büros. Die persönliche Begegnung halten wir auch für wichtig, um unsere Unternehmenskultur aufrecht zu erhalten.
Petra Scharner-Wolff, CHRO und CFO, Otto Group

Sie sind in einem hart umkämpften Markt unterwegs. Da kommt es vor allem auf Liefergeschwindigkeit und Kundenzufriedenheit an. Inwiefern können Sie sich da danach ausrichten, was sich die Beschäftigten wünschen?

Die Zentrierung auf Kundinnen und Kunden und die Wünsche der Beschäftigten sind überhaupt kein Widerspruch. Wenn wir auf die Customer schauen, dann brauchen wir automatisch ein ausgeprägtes Maß an Mitarbeitenden-Orientierung, weil wir sonst die Attraktivität für diese Zielgruppen gar nicht hinkriegen. Dazu gehört natürlich auch, die Skills der Beschäftigten laufend weiter zu entwickeln. Wir haben zum Beispiel einen steigenden Anteil an technisch orientierten Berufsprofilen.

Anpassungsfähigkeit – nicht nur in der Pandemie

Die Otto Group profitierte im Geschäftsjahr 2020/21 massiv vom Boom des Online-Handels in der Corona-Pandemie. Der Umsatz stieg um 17,2 Prozent auf rund 15,6 Milliarden Euro – besonders groß war der Zuwachs im E-Commerce. Welchen Anteil hat daran der Kulturwandel?

Wenn mich eines beeindruckt hat in dieser Krise, dann wie selbstverständlich rund 50.000 Mitarbeitende alles getan haben, dass wir die steigende Nachfrage bedienen können. Wir erleben gerade eine unglaubliche Skalierung des Geschäfts. In der Corona-Pandemie hatte der Schutz der Beschäftigten oberste Priorität. Aber bei allen Maßnahmen für den Gesundheitsschutz hatten wir wenig formale Diskussionen, auch die nötigen Betriebsvereinbarungen bekamen wir gut und schnell hin. Dass wir uns in der Krise als so anpassungsfähig erweisen, ist keine Selbstverständlichkeit. Vieles was wir vorher eher theoretisch geglaubt haben, wie wir sind, hat sich nun bewahrheitet. Letztlich war das eine wahnsinnige Teamleistung, die auch viel Kraft gekostet hat. Dass uns das gelungen ist, ermutigt uns sehr für den weiteren Kulturwandel.