New Work Aufbrecher

„Alles, was Sie brauchen, ist Mut“

Interview „Wir haben uns vorgenommen, alles, was unsere Entwicklung hemmt, abzuschaffen.“ Das sagt Oliver Sowa, Geschäftsführer der Beutlhauser Gruppe. Im Interview beschreibt er, wie sich das Unternehmen vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Mit einem Ziel: „Wir wollen den Menschen ein Spielfeld eröffnen, auf dem sie sich frei bewegen können."

Menschen von Fußfesseln befreien und als Erwachsene behandeln, die eigenständig denken und handeln. Das ist Oliver Sowas Mission.
Menschen von Fußfesseln befreien und als Erwachsene behandeln, die eigenständig denken und handeln. Das ist Oliver Sowas Mission.

Es geht um die Organisation

Herr Sowa, die Beutlhauser Gruppe hat sich in den zurückliegenden Jahren radikal verändert – andere Strukturen, neue Wege in der Führung, neue Wege in der Zusammenarbeit. Warum? Was war der Auslöser?

Wir sind einer der größten Investitionsgüterhändler in Deutschland. Ein Familienunternehmen in sechster Generation, uns gibt es seit 160 Jahren. Beutlhauser war immer ein erfolgreiches Unternehmen, aber bis zur Grenzöffnung 1990 eher klein und überschaubar. In den letzten 30 Jahren sind wir sehr stark gewachsen, heute erwirtschaften 1.200 Mitarbeiter 440 Millionen Euro. Wir verkaufen, vermieten und be-servicen Baumaschinen, Flurförderzeuge und Kommunaltechnik. Stahl und Eisen, wenn Sie wollen, aber mittlerweile auch sehr digital.

Zwei Faktoren beeinflussen den Erfolg: das Individuum und die Organisation. Wir haben jahrelang nur am Individuum herumgeschraubt.

Ungefähr im Jahr 2007 haben wir begonnen, uns intensiv mit der Organisation zu beschäftigen. Wir hatten den Eindruck, dass wir erfolgreich sind, aber nicht unser gesamtes Potenzial ausschöpfen. Irgendetwas hat uns gebremst und haben gemerkt, dass wir in die MitarbeiterInnen investieren und die Führung modernisieren müssen. Und haben Organigramme gemalt, Stellenbeschreibungen geschrieben, Mitarbeitergespräche etabliert, 360-Grad-Feedbacks und all die Dinge, die dazu gehören. Aber bis 2015 war das, ich sage das ganz offen, eher oberflächlich und dadurch stellenweise sogar zynisch. Wir haben die Fassade neu gestrichen, aber das Gebäude unverändert gelassen. Wir haben es, auf deutsch gesagt, nicht richtig angepackt, waren nicht radikal genug. Es kam bei den Menschen nicht richtig an.

Beutlhauser Gruppe
Die Beutlhauser-Gruppe ist an 22 Standorten in Bayern, Thüringen, Sachsen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Polen und Österreich sowie mit knapp 1200 Mitarbeitern und 440 Millionen Euro Jahresumsatz ein marktführendes Handels- und Dienstleistungsunternehmen in den Bereichen Verkauf, Vermietung und Service von hochwertigen Investitionsgütern sowie digitalen Lösungen

Wie haben Sie das gemerkt?

Wie gesagt, unsere Maßnahmen haben nicht die gewünschte langfristige Wirkung erzielt. Viel Change, wenig echte Veränderung, wenn Sie so wollen. Im Jahr 2014 ist dann der Kontakt zu Reinhard K. Sprenger zustande gekommen. Wir haben ihn im Februar 2015 zu unserem Strategiemeeting eingeladen, das die Geschäftsführung und rund 40 Führungskräfte einmal im Jahr abhalten. Dieses Treffen werde ich nie vergessen. Reinhard Sprenger hat gefragt „Was beeinflusst Erfolg in einem sehr hohen Maß?“. Seine Antwort: Verhalten. Wie agieren die Menschen, und was beeinflusst ihr Verhalten? Der eine Einfluss ist das Individuum, der andere die Institution.

Wir haben uns vorgenommen, alles, was unsere Entwicklung hemmt, abzuschaffen.

Uns wurde klar, dass wir die ganzen Jahre nur an der einen Seite, den Menschen, herumgeschraubt hatten. Wir haben Feedback-Gespräche geführt, Bonus-Systeme eingeführt, versucht herauszufinden, warum Menschen oft nicht tun, was wir für richtig hielten. Und Herr Sprenger hat uns deutlich gemacht, dass das alles nichts bringt, wenn die Rahmenbedingungen nicht passen. Und dass es die vornehmliche Aufgabe von uns drei Geschäftsführern sei, die Rahmenbedingungen zu ändern, ein guter Gastgeber zu sein. Zurück in Passau haben wir dann genau damit begonnen, indem wir alles aufgeschrieben haben, was bei uns galt, egal ob formell oder informell. Und haben uns vorgenommen, alles, was unsere Entwicklung hemmt, abzuschaffen. Entscheidend war der Blick in den Spiegel. Wir drei mussten uns eingestehen, dass wir das, was war, verursacht hatten. Und dass wir deswegen auch diejenigen sein mussten, die die Blockaden lösen. Wir hatten die Schuld immer bei anderen gesucht, bei den MitarbeiterInnen, den Lieferanten, bei wem auch immer. Aber für 80 bis 90 Prozent der Dinge waren wir selbst verantwortlich. Das war für uns die Erkenntnis schlechthin.

Selbsterkenntnis, und dann wurde alles neu und besser?

Nein, es kam noch eine Herausforderung als Katalysator dazu. Im Nachhinein muss ich sagen, dass das die beste Investition unseres Lebens war, auch wenn sie im Kern gescheitert ist. Wir haben 2016 ein neues ERP-System eingeführt. Und das Projekt an die Wand gefahren. Zu der Zeit sind wir stark gewachsen, überall war Hektik und Stress, und das ERP sollte alles einfacher und schneller und effizienter machen. Und hat das Gegenteil erreicht. Wo die Leute vorher fünf Klicks brauchten, waren es jetzt zehn. Was davor drei Minuten gedauert hatte, dauerte jetzt zehn Minuten. Wir mussten uns die Frage stellen, warum ein Unternehmen wie Beutlhauser an einer Software-Einführung scheitert. So viel kann ich sagen: An der Software lag es nicht. Es lag an uns. 

Wir haben ein ERP-System eingeführt. Das ist schiefgelaufen. Zum Glück, denn das hat all die Veränderungen ausgelöst.

Wir haben versucht, 160 Jahre Firmengeschichte in ein System zu pressen und mussten mühsam lernen, dass das der falsche Weg ist. Dass es darum geht, Prozesse zu definieren, zu verändern und radikal aufzuräumen. Darum, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das haben wir gemacht und auf unserer Lernreise zwei Drittel der Kostenstellen eliminiert. Wir haben die Abteilungssilos eingerissen, eine Regionalorganisation eingeführt. Die Verkäuferprovisionen abgeschafft. Unsere Führungskräfte erhalten ebenfalls ein relativ hohes Festgehalt mit einem kleinen variablen Anteil, der an den Konzern-DB3 geknüpft ist.

Alles Dinge, die weniger mit Verstand zu tun haben, dafür umso mehr mit Mut. Mit dem Mut, alte Zöpfe wirklich abzuschneiden.

Wie haben die Menschen bei Beutlhauser auf all das reagiert?

Es heißt immer, Menschen wollten keine Veränderung. Aber wissen Sie was? Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben nach diesen Veränderungen gelechzt! Sie waren wirklich froh, dass wir all diese Dinge eliminieren und waren mit Leib und Seele mit dabei. Und beileibe nicht nur die Jungen, das gilt querbeet für alle Generationen. Das Beste ist: Kommendes Jahr gehen wir mit einem neuen ERP-System live, damit geht eine vierjährige Reise zu Ende. Aber wir haben in diesen vier Jahren den Laden von Grund auf umgekrempelt.

Und dieses Mal klappt es?

Ja, denn das Wesentliche ist: Wir haben jetzt über achtzig Leute eingebunden, die Experten sind in Sachen Prozesse, Daten, Systeme und IT. Wir verfügen über unendlich viel Wissen. Und es ist nicht irgendein IT-Projekt unter vielen, sondern es ist ein Geschäftsleitungsthema. Ein Organisationsthema. Das ist mir besonders wichtig. In den letzten Jahren haben wir  auf Start-ups geschaut, haben sie uns zum Vorbild gemacht, sind dorthin gepilgert. Wir alle haben diesen Klamauk mitgemacht. Aber die Wahrheit ist: Das führt nirgendwohin. Du brauchst auch keine Berater dazu. Alles Wissen, alles Können steckt in Deinem Unternehmen. Was Du brauchst ist Mut. Du musst die Dinge konsequent und ohne falsche Scheu angehen.

Es heißt immer, Menschen wollten keine Veränderung. Aber wissen Sie was? Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben nach diesen Veränderungen gelechzt!

Und noch etwas habe ich, haben wir gelernt. Beim Thema Digitalisierung blicken alle immer nur auf die Frontend-Produkte, auf Cloud-Lösung oder Online-Shops, auf ERP-Systeme oder Plattformen. Natürlich ist das wichtig, man braucht eine technische Lösung. Aber sie steht am Ende des Prozesses. Die Technologie ist das Ergebnis einer kulturellen, sozialen und organisatorischen Transformation, nicht der Anfang. Das Entscheidende ist der Mensch, alles andere kommt danach.

Eine Frage der Haltung?

Früher haben wir Strategien entwickelt, abgeleitet aus Missionen und in Fünf-Jahrespläne gegossen. Aber das alles hatte keinen Durchschlag bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und hat auch nicht wirklich zu mehr Umsatz und Ertrag geführt. Natürlich brauchen wir Produkte und Dienstleistungen, analog und digital. Aber wirklich wirksam sind die Menschen. Wir haben jeden Tag fünf, sechs, sieben, achttausend Kundenkontakte, und genau diese Momente entscheiden über Erfolg oder Nichterfolg. Geht da jemand schnell ans Telefon, ist da jemand, die sagt, ich nehme mich der Sache an, die das Kundenproblem versteht und eine Lösung schafft? Oder sitzt da ein Mensch, der sagt, das geht mich nichts an, dafür werde ich nicht bezahlt? Genau hier werden Unterschiede gemacht, hier entscheidet sich der Wettbewerb.

Natürlich brauchen wir Produkte und Dienstleistungen, analog und digital. Aber wirklich wirksam sind die Menschen.

Wie verändert man das Mindset von Menschen? Wie schafft man eine kundenorientierte Unternehmenskultur?

Indem man sich genau anschaut, wie Menschen arbeiten und zusammenarbeiten. Wie sie in der Organisation arbeiten und zusammenarbeiten können. Wir haben immer versucht, Menschen zu motivieren. Aber man kann Menschen nicht motivieren, man kann nur einen Rahmen schaffen, der die eigene Motivation der Menschen erhält. Das heißt Demotivation verhindern und alle Knüppel, die den Menschen im Weg liegen, wegzuräumen. Bei uns gibt es keine Urlaubsanträge mehr. Die Menschen in den Teams tragen ihren Urlaub in den Teamkalender ein, die Führungskraft sieht nur, wer wann im Urlaub ist. Menschen können diese Dinge allein regeln, das ist keine Führungsaufgabe. Wir haben auch keine Investitionsanträge mehr. Die regionalen Niederlassungen haben ein Budget und entscheiden selber. Sie können alles bis auf wenige Ausnahmen selbständig tun. Wir haben versucht, alles zu identifizieren, was Menschen ihre Motivation raubt. Und es dann zu eliminieren. Am Mindset der Menschen haben wir überhaupt nicht arbeiten müssen. Die Menschen wollen wirksam werden, sie wollen erfolgreich sein und das Unternehmen nach vorne bringen. Wir müssen nur alles entfernen, was sie daran hindert.

Wir haben versucht, alles zu identifizieren, was Menschen ihre Motivation raubt. Und es dann zu eliminieren.

Eine Entfesselung der Menschen …

Vor einem halben Jahr etwa hat Herbert Diess, der CEO von VW, eine flammende Rede vor 300 leitenden Angestellten gehalten. Tenor laut Handelsblatt: Tesla überholt uns, lauft schneller. Ich behaupte, 298 der 300 Leute würden gerne schneller laufen, können aber nicht. Weil die Strukturen und Institutionen bei Volkswagen ihnen Fußfesseln anlegen. Es hat keinen Sinn, an Menschen zu appellieren, jetzt aber einmal schneller zu werden. Die Führung muss vielmehr schauen, dass sie die Fußfesseln eliminiert. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, die es Menschen ermöglicht, ihr Wissen, ihr Können, ihre Erfahrung wirksam werden zu lassen. Ein Spielfeld eröffnen, auf dem sie sich frei bewegen können.

Also Führung ja, aber anders?

Es heißt ja immer, wir müssten Hierarchien abschaffen. Das ist schlichtweg Quatsch. Bei Beutlhauser haben wir heute die Hierarchien, die es auch vor zehn Jahren gab: Geschäftsleitung, Abteilungsleiter, Teamleiter, Mitarbeiter. Die wirklich wichtige Frage ist, wie die Menschen ihren Job interpretieren. Unser Credo ist, dass diejenigen, die nah an den Kunden sind, eigenverantwortlich entscheiden können. Und die Führungskräfte arbeiten daran, das möglich zu machen.

Es hat keinen Sinn, an Menschen zu appellieren, jetzt aber einmal schneller zu werden. Die Führung muss vielmehr schauen, dass sie die Fußfesseln eliminiert.

Reinhard Sprenger hat mich neulich gefragt, was mich zufrieden macht. Darauf habe ich zwei Antworten. Zum einen macht mich zufrieden, dass ich in einem hohen Maß verstanden habe, wie das alles funktioniert. Und das zweite, wichtigere, ist, dass ich sehe, welche Früchte unsere Transformation trägt. Was das mit den Menschen macht. Wie Menschen, die seit zwanzig, dreißig Jahren im Unternehmen, heute mit stolz geschwellter Brust Vollgas geben, mit Lebensfreude ihren Job machen. Das ist für mich New Work.