Business Transformation New Work

"New Work verkommt zum Schleifchen um klassische Changeprozesse"

Interview Zu viele Unternehmen missbrauchten den Begriff New Work, um Stellen abzubauen, Büroflächen zu verkleinern oder anders Kosten zu sparen, sagt Carsten C. Schermuly. Ein Gespräch über versteckte Agenden, Geschenkpapier und New Würg.

New Work meint Empowerment

Herr Schermuly, bevor wir über dystopische New Work-Zustände sprechen – wie lautet Ihre Definition von New Work?

New Work sind für mich Maßnahmen, die zum Ziel haben, das psychologische Empowerment von Mitarbeitenden zu stärken. Das sind Maßnahmen, die die Selbstbestimmung, den Einfluss, das Kompetenzerleben und das Sinnerleben von Menschen stärken. Das ist abgeleitet aus dem Empowerment-Ansatz, der schon relativ lange erforscht wird, kombiniert mit den ursprünglichen Ideen von Frithjof Bergmann, der sich stark dafür eingesetzt hat, dass die „tayloristische Lohnarbeit“ abgeschafft wird und Menschen die Arbeit finden, die sie „wirklich, wirklich wollen“.

NEW WORK DYSTOPIA
Das neue Buch "New Work Dystopia" von Prof. Dr. Carsten C. Schermuly erscheint am 11. April bei Haufe. 
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Alfred Kaltenburg aus Ihrem Buch, auf den wir gleich noch kommen, würde sagen „Die Leute sind bei mir, damit sie mein Unternehmen erfolgreich machen und nicht, um Sinn zu finden und um selbstbestimmt zu arbeiten“.

Alfred Kaltenburg missbraucht New Work, um das Unternehmen auf Effizienz zu trimmen. New Work muss aber zwei Ziele gleichzeitig bedienen: Es geht zum einen um die Humanisierung des Arbeitsplatzes, zum anderen aber um eine verbesserte Leistung. Zwischen beiden Zielen muss eine Balance gefunden werden und beide Ziele können sich auch gegenseitig befruchten.

Kommen wir auf das Buch „New Work Dystopia“. Protagonist ist das fiktive Unternehmen Kaltenburg. Ein typisch deutscher Mittelständler, Familienunternehmen mit langer Tradition, an der Spitze der Familienpatriarch Alfred Kaltenburg.  Wie viele solcher Unternehmen beschäftigen sich mit New Work?

Die Antwort hängt davon ab, wie wir New Work definieren. Im jährlichen New Work-Barometer, das wir gemeinsam mit dem personalmagazin durchführen, setzt mittlerweile eine Mehrheit von Unternehmensvertreter:innen New Work mit Homeoffice gleich. In diesem Sinne beschäftigt sich jedes Unternehmen mit Bürotätigkeiten seit Corona mit New Work, wenn man unter New Work Homeoffice und Open Space-Büros und auch Agilität versteht. All das wird „draußen“ sehr stark mit New Work assoziiert und viele Mittelständler setzen Maßnahmen in diesem Bereich um.

Kaltenburg nutzt New Work als Geschenkpapier, das die eigentlichen Ziele verschönern soll. Und die Ziele heißen Verschlankung und Effizienzsteigerung.

New Work: Instrumentalisierung führt zu negativen Ergebnissen

Kaltenburg macht in Ihrem Buch fast alles falsch. Wo liegt in ihren Augen der Kardinalfehler? Was lässt das Unternehmen falsch abbiegen?

Der Abschluss meines Buches ist quasi ein kleines Gutachten über Kaltenburg, das all die Punkte auflistet. Entscheidend ist in meinen Augen, dass die Geschäftsführung, also Alfred Kaltenburg, im Verbund mit dem langjährigen Beratungspartner New Work instrumentalisiert. Das Konzept wird so weit gedehnt, dass es beliebige Change-Prozesse abdeckt, die negative Folgen für die Mitarbeitenden haben, etwa Mehrarbeit, unklare Verantwortlichkeiten, mangelnde Führung, Arbeitsplatzabbau. Kaltenburg nutzt New Work als Geschenkpapier, das die eigentlichen Ziele verschönern soll. Und die Ziele heißen Verschlankung und Effizienzsteigerung. Da heißt es dann „Wir schaffen flache Hierarchien“ und eine ganze Führungsebene wird weggenommen. An der prinzipiellen Berichtslinie ändert sich aber nichts. Ergebnis: Mehr Menschen als zuvor bilden eine Abteilung und müssen an denselben Chef berichten. Alles bleibt, wie es war, außer dass die Führungsspanne wächst und die Personalkosten sinken. Beim Thema Agilität läuft es genauso. Agilität klingt gut, und wenn die ersten Software-Releases schneller als zuvor fertig werden, nimmt man das als Bestätigung. Dass die gesamte Unternehmenskultur überhaupt nicht zu Agilität passt, interessiert niemanden. Das ist ein großes Schauspiel, das da täglich beim Thema New Work bei den Kaltenburgern aufgeführt wird.

, Carsten C. Schermuly, New Work Dystopia, Haufe 2023
Carsten C. Schermuly, New Work Dystopia, Haufe 2023

In Ihrem Buch spielen Unternehmensberatungen eine wichtige Rolle. Sie begleiten Kaltenburg auf dem skizzierten Weg beziehungsweise stoßen das Unternehmen in diese Richtung.

Kaltenburg arbeitet mit mehreren Beratungsunternehmen zusammen. Zum einen mit den Harkonnen, einer inhabergeführten Firma, die seit Jahrzehnten alle zwei Jahre das Gesamtunternehmen Kaltenburg auf den Prüfstand stellt und „angesetzten Speck“ entfernt. Sie bringen die Idee mit der flachen Hierarchie ein. Dann spielt ein Architekturbüro mit, das Kaltenburg die Idee von Open Space-Büros verkauft, angeblich, um Zusammenarbeit und Kreativität der Mitarbeitenden zu stärken. In Wirklichkeit geht es aber nur darum, Bürofläche einzusparen. Und schließlich noch eine schicke Berliner Beratung, Agile Elves. Die begleitet die agile Transformation, also die Einführung von agiler Projektarbeit. Diese Berater sehen alle vollkommen anders aus, mit Hoodies und Tattoos, im Kern arbeiten sie aber ähnlich und sie instrumentalisieren New Work genauso wie die anderen. Sie machen dem Kunden Angst, erklären, dass er nicht mehr wettbewerbsfähig sei, wenn er nicht sofort alles verändert. Das steht dann im Fokus und sie können ihre Beratertage verkaufen.

All diese Beratungen verfolgen starke ökonomische Interessen, und dafür wird das Thema gedehnt und vollkommen von seinen Ursprüngen entfernt. Mit anderen Worten: Das Kundenunternehmen wird nicht befähigt, sich zu entwickeln, sich über teilweise schmerzhafte Prozesse in die Zukunft zu bewegen, sondern das soll die Unternehmensberatung in kurzer Zeit übernehmen. Doch die geht rein und schnell wieder raus, trägt die psychologischen und soziologischen Kosten nicht. Dieses Verfahren versuche ich zu charakterisieren und auch zu karikieren. Das Themenfeld New Work wird von den Unternehmensberatungen in meiner Dystopie bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, ohne Nutzen für die Menschen und die Organisationen.

Vor der New Work Dystopia haben Sie die New Work Utopia geschrieben, in der Sie das ebenfalls fiktive Unternehmen Stärkande beschreiben. Für alle, die das erste Buch noch nicht gelesen haben: Wo liegen die Unterschiede zwischen den Beispielunternehmen?

Das sind 170 Seiten Unterschied (lacht). Beide Unternehmen arbeiten mit Axiomen, also Arbeits- und Organisationsprinzipien. Bei Stärkande, in der Utopie, sind die Axiome allen bewusst, sogar schriftlich festgehalten, und dienen in der täglichen Arbeit als Orientierung. In der Dystopie sind das ungeschriebene Gesetze der Unternehmensleitung, die durch das Unternehmen diffundieren, aber nie offen thematisiert und schon gar nicht in Frage gestellt werden. Der zweite Unterschied ist: Die beiden Frauen, die Stärkande leiten, führen sehr demokratisch, das Unternehmen ist holokratisch verfasst, und das Bestreben, die Menschen psychologisch zu empowern, bildet die Grundlage. Die Stärkanderinnen nutzen viele Arbeitsgestaltungsmaßnahmen, die es heute noch gar nicht in der Wirtschaft gibt, aber geben sollte.

New Work braucht Professionalisierung von HR

Bei Kaltenburg dagegen agiert die Geschäftsführung kurzfristig, holt sich Berater ins Haus, die im nächsten Changeprozess eben mal New Work installieren sollen. Das Vorgehen ist maschinell, weil sie auch das Unternehmen als Maschine sehen, in der die Mitarbeitenden als Rädchen fungieren. Das ist der entscheidende Unterschied, neben vielen anderen kulturellen und strukturellen Unterschieden. Die Divergenz zeigt sich auch bei der Professionalisierung der Personalarbeit. Während das utopische Unternehmen sehr viel in Personalarbeit investiert und einen hohen Reifegrad erreicht hat, verharrt das dystopische Unternehmen irgendwo in der 1980er Jahren.

Das ist ein ganz wichtiger Aspekt: Dass sich etwas, das ursprünglich gut gemeint ist, ins Gegenteil verkehrt. Dass aus New Work New Würg werden kann

Ist eine neue Form von (Zusammen)Arbeit also doch eine Frage des notorischen Mindset beziehungsweise des Menschenbilds?

Nicht ausschließlich, aber das Menschenbild hat – genauso wie die Unternehmenskultur, die sich daraus entwickelt – einen maßgeblichen Einfluss darauf, wie verschiedene Maßnahmen ihre Wirkung entfalten. Das belegen zahlreiche Forschungsarbeiten, die zeigen, dass ein und dieselbe Maßnahme, abhängig von der Unternehmenskultur, unterschiedlich positive oder negative Folgen haben kann. Deswegen zitiere ich im Vorwort auch aus Shakespeares Macbeth: „Fair is foul and foul is fair.“ Konkret können Dinge wie Homeoffice, Open Space-Büros oder Vertrauensarbeitszeit in einem Unternehmen, in dem die Menschen sich vertrauen, in dem offen kommuniziert wird, in dem Verantwortung klar definiert ist, sehr hilfreich sein. In einem Unternehmen, in dem all das nicht gegeben ist, führen die genannten Maßnahmen wahrscheinlich zu Unsicherheit, Misstrauen und unbezahlter Mehrarbeit … Für mich ist das ein ganz wichtiger Aspekt, der zieht sich durch das ganze Buch: Dass sich etwas, das ursprünglich gut gemeint ist, ins Gegenteil verkehrt. Dass aus New Work New Würg werden kann.

Welche Chance hat ein Unternehmen wie Kaltenburg, doch noch etwas Zukunftsfähiges aus New Work zu machen?

Kaltenburg hat den Begriff New Work derart benutzt und damit beschmutzt, dass man damit in der Belegschaft nicht mehr weiterkommt. Das passiert mittlerweile vielen Unternehmen, wenn sie New Work so beliebig und so politisch instrumentalisieren, dass die Menschen mit New Work nichts Positives assoziieren, sondern die Angst vor dem nächsten Changeprozess, der im Zweifel nur mehr Arbeit, mehr Stress und Stellenabbau mit sich bringt. Das schmerzt mich als jemand, der eine positive und langandauernde Bindung zu dem Begriff hat.

Sie nennen Ihr Buch eine Dystopie, ich frage mich aber, wo das Dystopische ist. Es ist eher eine Zustandsbeschreibung …

Das ist das Gruseligste an einer Dystopie, die ein bisschen übertreibt und pointiert die Zustände darstellt: Wenn man auf einmal im eigenen Arbeitsleben feststellt, dass die Wirklichkeit Züge dieser Dystopie trägt. Für mich ist genau das die Aufgabe einer Dystopie: Deutlich machen, was ist und was droht, wenn wir nicht gegensteuern. Gleichzeitig habe ich in Teil Zwei des Buches versucht zu zeigen, mit welchen Maßnahmen man aus diesem dystopischen Raum wieder herauskommt. Quasi aus einer wissenschaftlichen und organisationspsychologischen Perspektive zu definieren, welche Vorgehensweisen sich langfristig bewährt haben, um zu verhindern, dass man von New Work nach New Würg kommt. Das Buch will nicht nur gruseln, sondern auch befähigen.