Agilität Talent Management

Talentmobilität – der Schlüssel zur agilen Organisation

Die MitarbeiterIn mit den passenden Skills, dem passenden Wissen im richtigen Projekt – darum geht es bei der Internen Talentmobilität. Doch die Hürden aus starren Strukturen, veraltetem Silodenken und dem Festhalten am Bewährten sind hoch. Dabei ist "Inside Gig" der Schlüssel zu Innovation und anhaltendem Erfolg. Meinen Marcus Meyer und Thorsten Schaar.

Talents in Ecosystem-Unternehmen

Vor über einem Jahr haben wir mit dem Buch "FLEAT-Vom Unternehmen zur agilen Flotte" unsere Gedanken für eine postbürokratische Organisationsstruktur veröffentlicht. Seitdem haben wir viel gelernt. Über Stärken und Schwächen unseres Rahmenwerks, über inspirierende Unternehmensgestalter, wiederkehrende Missverständnisse und darüber, dass Menschen in Unternehmen eben doch nicht nur dem Unternehmenszweck folgen, sondern mitunter starken lokalen Rationalitäten unterliegen.

Was uns darin bestärkt, dass FLEAT ein wichtiger und richtiger Kompass auf dem Weg in eine neue organisatorische Zukunft sein kann, sind auf der einen Seite unsere Partner, mit denen wir aktiv an Leuchtturmprojekten arbeiten, aber auch die vielen anderen Rahmenwerke, die sich mit Organisationen als Ökosystem von marktgerichteten Einheiten beschäftigen (zum Beispiel MOE von Arthur Yeung und Dave Ulrich).

Die drei Säulen marktgerichteter Ökosysteme

Schaut man auf diese Rahmenwerke, lassen sich, neben allen unterschiedlichen Metaphern und Schwerpunkten, drei wesentliche Säulen abzeichnen:

  1. Kommunikation eines klaren, strategischen Rahmens
  2. Schaffung cross-funktionaler, eigenständiger Einheiten innerhalb des Rahmens
  3. Maximale Talentmobilität zwischen diesen Einheiten

Als wir mit FLEAT begonnen haben, lag unser Fokus auf der Frage, wie Unternehmen ihre Strategien den MitarbeiterInnen am besten bekannt machen und erklären. Nicht zuletzt, weil Studien wie der bislang unveröffentliche Strategy Mobilization Index von Haufe zeigen, wie wenig Menschen in Unternehmen über die Strategie wissen und wie wenig sie MitarbeiterInnen motiviert. Genauso wichtig war für uns die Frage, wie es gelingt, cross-funktionale, eigenständige Einheiten zu schaffen, die sich jeweils einer bestimmten Businessidee, einem neuen Produkt etc. widmen. Denn, so dachten wir: Steht erst einmal der Rahmen und ist geklärt, wie sich diese Einheiten gründen, kommen die MitarbeiterInnen von ganz allein, um mitzumachen. Geht es bei der unternehmensinternen Mobilität von MitarbeiterInnen doch eben darum, dass diese selbst entscheiden, an welchen Themen, Projekten oder in welcher konkreten Position sie mitarbeiten möchten – je nach und basierend auf ihren Erfahrungen, Fähigkeiten, Kenntnissen, Ambitionen und Entwicklungszielen.

Die Vorteile und positiven Begleiterscheinungen für MitarbeiterInnen und Unternehmen, so dachten wir, lägen dabei auf der Hand:

  • Einzigartige Entwicklungsmöglichkeiten außerhalb starrer Karrierepfade
  • Motivation und Arbeitszufriedenheit wegen mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit
  • Mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bei sich dynamisch verändernden Märkten und Kundenbedürfnissen
  • Die Etablierung einer wahrhaft lernenden Organisation mit kontextuellen Lernerfahrungen „on the job“

Die Mobilität der MitarbeiterInnen spiegelt die Agilität von Unternehmen

Aber so einfach machen Organisationen es einem dann eben doch nicht. MitarbeiterInnen sind innerhalb ihrer Organisationen noch immer nicht mobil (Ausnahmen bestätigen die Regel). Sie verharren innerhalb der Bereichs- oder Abteilungsstrukturen, und ein interner Jobwechsel ist für viele Mitarbeiter schwieriger zu realisieren als der Wechsel des Arbeitsgebers (s. Abb. 1)

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Abb.1: Es ist einfacher, MitarbeiterInnen am Marktzu finden als im Unternehmen, meint Deloitte. Grafik: Deloitte

Dabei geht es bei der internen Talentmobilität gar nicht immer um einen kompletten Job-Wechsel im Unternehmen. Gerade in der Frühphase neuer Projekte sprechen wir teilweise über befristete Teilzeiteinsätze außerhalb des engen Wirkungskreises der eigenen Aufgaben. Doch selbst das ist häufig unmöglich, wie wir feststellen mussten. Und so spiegelt der Grad der internen Mobilität auch allzu häufig den Grad der Agilität des jeweiligen Unternehmens wider. Wobei die interne Mobilität eben nicht ein Merkmal eines agilen Unternehmens ist, sondern vielmehr eine notwendige Bedingung, um überhaupt erfolgreich in ein agiles Organisationsdesign zu transformieren.

Interne Talentmobilität

Wie bereits oben skizziert, gibt es im Wesentlichen zwei Wege, Interne Talentmobilität (ITM) umzusetzen:

  • Interner Jobwechsel
  • Befristeter Voll- oder Teilzeiteinsatz

Während interne Jobwechsel zumindest theoretisch schon sehr verbreitet sind, ist die zweite Dimension eine neuere Erscheinung, auch Internal Gig oder Inside Gig genannt. Die Besonderheit des Inside Gig ist, dass der Mitarbeiter aus seinem qua Organigramm definierten Job für befristete Arbeitsangebote innerhalb der Organisation herausgeht, ohne den Job komplett zu verlassen. Die Arbeitsangebote sind daher oftmals auch zeitlich beschränkt, etwa ein Tag in der Woche für die Dauer von zwei Monaten. Die Vorteile solcher Inside Gigs aus Sicht der Organisation sind offensichtlich:

  1. Reduktion der „Time to market“ und Steigerung des finanziellen Unternehmenserfolgs

Inside Gigs fördern die Zusammenarbeit außerhalb der etablierten Strukturen. MitarbeiterInnen können sich somit über die eigenen Abteilungsgrenzen und bekannten KollegInnen hinaus vernetzen, lernen neue Arbeitsweisen kennen, erweitern das Wissen über die Fähigkeiten der Organisation und vor allem auch darüber, wie sie ihre eigenen Fähigkeiten besser gewinnbringend einsetzen können. In einer immer schnellen drehenden Welt wird diese Vernetzung von Mitarbeitern zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

  1. Neue Kombinationen vorhandener Fähigkeiten als „Must Have“ in einer VUCA-Welt

Die Fähigkeiten der Mitarbeiter sind das wichtigste nicht bilanzierte Asset eines Unternehmens. In einer Welt, die nicht erst seit Covid-19 immer volatiler, unsicherer, komplexer und mehrdeutiger wird (Stichwort VUCA), ist es zunehmend erfolgsentscheidend, dass MitarbeiterInnen die Möglichkeit haben, ihre Fähigkeiten in neue, oft digitale Geschäftsmodelle einzubringen. Cross-funktionale Teams werden so mehr und mehr zur organisatorischen Regel, und Organisationen, die diese Strukturen fördern, gehören zu den Gewinnern der digitalen Transformation.

In der Krise wurde intensiv erfahrbar, was VUCA für Unternehmen und deren MitarbeiterInnen tatsächlich bedeutet. Unternehmen stehen vor der Frage, ob und wie sie zurück zu neuer Stärke finden können. Banken und Versicherungen sehen sich bereits seit Jahren mit der Frage konfrontiert, wie sie ihre Geschäftsmodelle und vor allem ihre MitarbeiterInnen auf die Herausforderungen und massiven Veränderungen vorbereiten können.

Die zunehmende Automatisierung von Tätigkeitsfeldern, der seit Jahren intensiver werdende Kampf um die besten MitarbeiterInnen sowie die demografische Entwicklung erhöhen diesen Druck weiter.

Unternehmen müssen angesichts dieser Entwicklungen besser als in der Vergangenheit in der Lage sein, entstehende Bedarfe an Skills und Wissen mit vorhandenen Talenten zu decken. Sie können sich nicht mehr darauf verlassen, notwendige Ressourcen am externen Markt zu beschaffen.

  1. Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit im „War For Talent“

Inside Gig beantwortet aber nicht nur die Frage, wie Menschen ihr Wissen und Können bestmöglich in der Praxis einbringen. Neue, innovative Initiativen stellen als „Learners Welcome“-Projekte eine Chance für MitarbeiterInnen dar, die die gesuchten Kenntnisse und Fähigkeiten noch nicht vollständig besitzen, aber bereit sind, zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Das erhöht nicht zuletzt deren Beschäftigungsfähigkeit.

  1. „Echtes“ Lernen im Job als Antwort auf die sinkende Halbwertzeit von Skills

Dem Umstand folgend, dass der Inside Gig keinen vollständigen Wechsel aus dem bestehenden Job bedeutet, können die Menschen das Wissen, das sie im Gig erwerben, direkt im angestammten Team/ Bereich anwenden. Mit anderen Worten: MitarbeiterInnen lernen permanent dazu und entwickeln sich in der bestmöglichen Form: dem Lernen im Job.

Was also hindert Organisationen daran, mehr interne Mobilität ihrer MitarbeiterInnen zu ermöglichen? Warum gehören Inside Gigs noch nicht zum Alltag? Die Gründe sind vielschichtig und zum Teil sehr tief in die bestehenden Mechanismen einer klassischen Organisation eingewoben.

Machtstrukturen und Silos

Häufig stehen die bestehenden Machtstrukturen und Silos im Weg. Im Rahmen von Ziel- und Bonusmechanismen ist es für den einzelnen Manager auf den ersten Blick überhaupt nicht sinnvoll, einen Mitarbeiter aus dem eigenen Bereich, aus den eigenen Projekten heraus, in einen anderen Teil der Organisation ziehen zu lassen. Der Mitarbeiter ist schließlich mit allen Kosten in der eignen P&L budgetiert und bei der Planung des wirtschaftlichen Erfolges fest einkalkuliert. Geht ein Wechsel über den eigenen Bereich, das eigene Silo hinaus, werden solche Wechsel immer unwahrscheinlicher, da viel zu häufig eine „Wir gegen die“-Kultur zwischen den Silos gewachsen ist.

Talentmanagement, Karrierepfade und „Slack-Times“

Aus Sicht der MitarbeiterInnen machen die Unternehmensstrukturen Inside Gigs unattraktiv. Die Talentmanagement-Systeme sehen in der Regel vor, dass Kompetenzen oder Fähigkeiten hinsichtlich des vom Organigramm vorgegebenen Jobprofils mit den eigenen abgeglichen und bewertet werden. Neu erlangtes Wissen, welches nicht direkt auf den konkreten Job einzahlt, ist damit für die Evaluierung einfach nicht relevant. Auch Karrierepfade sehen regelmäßig vor, dass erst bei einer Übererreichung von den für die vorgesehene Position bestimmten Kriterien Beförderungen möglich sind.

Dazu kommt, dass  MitarbeiterInnen gemeinhin nicht offen darüber sprechen können, wenn die aktuelle Position sie nicht voll auslastet. Kulturell herrscht immer noch eine Denkweise vor, in der die besten Mitarbeiter immer maximal beschäftigt sein bzw. geschäftig tun müssen.

Intransparenz von Arbeitsangebot und -nachfrage

Der letzte wichtige Punkt, der verhindert, dass Inside Gigs gelebt werden, ist, dass es in Unternehmen keine übergreifende Transparenz darüber gibt, welche Arbeit in den verschiedenen Teams, Projekten, Abteilungen oder Bereichen zu erledigen ist – und auch nicht darüber, welche Fähigkeiten im Unternehmen wirklich vorhanden sind. Die Sammlung von Fähigkeiten, Kompetenzen und Ambitionen der MitarbeiterInnen ist oftmals in vielen (oft dezentral und lokal verwalteten) Tools, Excel-Tabellen oder im schlimmsten Fall überhaupt nicht organisiert. In manchen Unternehmen, so wurde uns berichtet, wird sogar der Umweg über externe Plattformen wie LinkedIn gewählt, um nach adäquaten internen Talenten Ausschau zu halten.

Das große Rad bewegen?

Zielvereinbarungen? Bonus-Strukturen, Karrierepfade, Kultur? Neue Software einführen? Blickt man auf die Gründe, warum Inside Gigs heute noch so selten sind, kann schnell der Eindruck entstehen, dass das Rad, das bewegt werden muss, schlicht zu groß ist.

Wir halten es allerdings für unerlässlich, sich auf den Weg zu machen, da Unternehmen ohne einen hohen Grad an Interner Talentmobilität mittel- bis langfristig nicht wettbewerbsfähig sein werden. Auch scheint die Zeit reif zu sein, da die Gespräche um das nächste Normal nach Corona eben auch die Frage beinhalten, wie Zusammenarbeit in Organisationen neugestaltet werden kann.

Das sind unsere Gedanken zum Thema agile Organisation und Talentmobilität – was denken Sie? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht und welche Erfolgskriterien gibt es aus Ihrer Sicht, um die Talentmobilität zu erhöhen?