New Work Innovation

Organisationsrebellen #2: Aus Tradition Transformation machen

Die digitale Transformation stellt insbesondere Unternehmen mit langer Tradition vor ungeahnte Herausforderungen. Häufig ist ein befürchteter Machtverlust ein Hindernis für den Wandel. Mirjam Pütz erklärt, wie die Deutsche Bank Innovation ins Unternehmen bringt.

Transformation als besondere Herausforderung für Unternehmen mit langer Tradition
Transformation als besondere Herausforderung für Unternehmen mit langer Tradition

In diesem Interview traf Stephan Grabmeier, früherer Chief Innovation Evangelist der Haufe Gruppe, die Organisationsrebellin Mirjam Pütz, Head of Disruptive & Strategic Programs bei der Deutschen Bank, zum Gespräch über Transformation in tradierten Branchen und Frauen als Gewinner des Wandels:

Zwischen Kontroll- und Relevanzverlust: Ambidextrie als Herausforderung

Die Wahl zwischen Pest und Cholera – so beschreibt Mirjam Pütz die Situation, in der sich gerade traditionelle und etablierte Unternehmen befinden. Sie müssen sich entscheiden: Öffnen sie sich der Digitalisierung mit all ihren Möglichkeiten und riskieren damit, die Kontrolle zu verlieren? Oder halten sie am traditionellen Kerngeschäft fest –  mit der Gefahr, damit für Kunden an Relevanz zu verlieren? Tradition oder Innovation? Beide Alternativen, so Pütz, bedeuten für Unternehmen einen Machtverlust. Doch – zumindest für einen gewissen Zeitraum – funktionieren beide Optionen auch parallel. Auch die Deutsche Bank verfolgt ein solches zweigleisiges Vorgehen. Es gilt, das Kerngeschäft aufrecht zu erhalten und zeitgleich Innovationen zu entwickeln und voranzutreiben. Solange, bis die Weichen umgestellt, beide Gleise zusammengeführt und die neuen innovativen Geschäftsmodelle mehr und mehr zum Kerngeschäft werden.

Ein erfolgreiches Unternehmen im digitalen Zeitalter benötigt beides: […] Bewährte, auf Effizienz und Exzellenz ausgerichtete Managementansätze und […] Konzepte, die stärker auf Geschwindigkeit und Innovation ausgerichtet sind.
Thorsten Petry, Inhaber des Lehrstuhls für Organisation & Personalmanagement an der Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain

Das von der Deutschen Bank verfolgte System der ambidextren Organisationsentwicklung setzt voraus, dass das Organisationsdesign diese Kombination aus Tradition und Moderne auch abbilden kann. Es muss zum einen Mitarbeitern im Kerngeschäft ermöglichen, in bekannten Prozessen und Hierarchien zu arbeiten. Zum anderen muss es innovativen Querdenkern die Freiheit geben, agil und mutig alte Wege zu verlassen. Ein Konzept, das beispielsweise der Haufe Quadrant beschreibt: Er bildet unterschiedliche Organisationsformen ab, die zeitgleich in einem Unternehmen bestehen, ohne sich gegenseitig zu behindern.

Trial and Error der Innovation: Das Prinzip der Transformation

„Forschung und Entwicklung mit Erfolgsgarantie gibt es nicht“, davon ist auch Dr. Markus Pertlwieser überzeugt, Chief Digital Officer der Deutschen Bank. Und analog dazu: „Digitalisierung ohne das Prinzip ‚Trial and Error‘ funktioniert nicht.“ Deshalb wird beim größten Kreditinstitut Deutschlands eine Kultur des „Ausprobierens“ bewusst unterstützt.

Digitalisierung ohne das Prinzip ‚Trial and Error‘ funktioniert nicht.
Dr. Markus Pertlwieser, Chief Digital Officer Deutsche Bank

Screen – Develop – Share nennt sich der Projektablauf, nach dem das Team um Mirjam Pütz agiert. Durch Recherchen und Kundeninterviews entdecken sie aktuelle Trends und sammeln Ideen für neue Geschäftsmodelle. Ein bis zwei besonders vielversprechende Ideen entwickeln sie weiter und setzen sie als Wette auf die Zukunft – werden die Projekte reüssieren oder scheitern? Das gewonnene Wissen verbreiten sie mithilfe des Deutsche Bank ESN (Enterprise Social Network) und zukünftig mithilfe der sogenannten Digital Academy in der ganzen Organisation.

Eine der erfolgreichen Wetten ist das Quartier Zukunft. Aus der klassischen Bankfiliale wurde ein digitaler Ort der Begegnung. Mitarbeiter nutzen ihn unter anderem zur gemeinsamen Ideenfindung, aber auch für Beratungsgespräche mit Kunden und zur Präsentation digitaler Angebote.

Sensation Seeker: Die Treiber der Transformation

Doch nicht nur das Organisationsdesign muss die beidhändige Entwicklung von Unternehmen ermöglichen. Es braucht auch einen bestimmten Mitarbeitertypus, der Veränderungen bewusst einfordert und vorantreibt. Mitarbeiter, die einen starken inneren Drang haben, immer wieder Neues zu lernen und Gelerntes direkt anzuwenden – ohne Angst, dabei Fehler zu machen. Diesen Menschentypus nennt die Forschung Sensation Seekers. Prototypische Beispiele für Sensation Seekers sind Extremsportler. Sie zeichnet neben dem Wunsch nach immer neuen Herausforderungen eine erhöhte Risikobereitschaft aus. Studien zeigen, dass etwa jeder Fünfte Sensation Seeking-Merkmale aufweist. Bei Männern zeigt sich dieses Phänomen etwas häufiger als bei Frauen, so Marcus Roth, Professor für differentielle Psychologie an der Universität Duisburg-Essen.

Frauen: Die Gewinner der Transformation

Trotzdem, davon ist Mirjam Pütz überzeugt, sind gerade Frauen nicht nur ein wichtiger Treiber, sondern letztlich die Gewinnerinnen der Transformation. Denn die Digitalisierung verändert durch neue Technologien unser Kommunikationsverhalten. Wir kommunizieren seltener persönlich, sondern stärker über Tools und häufig auch über große (kulturelle) Distanzen und Zeitzonen. Dies führt dazu, dass Fähigkeiten wie Kommunikation und Empathie eine immer größere Rolle spielen. Skills, bei denen insbesondere Frauen punkten. Netzwerken und Teamplay verdrängen zudem künftig – auch bedingt durch agile Organisationsmodelle und fehlende Hierarchien – Einzelkämpfertum und Ellenbogenmentalität. Eine Entwicklung, die der Arbeitsweise von Frauen sehr entgegenkommt, wie Wissenschaftler der Universität von Kalifornien und der Universität Lyon herausfanden.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Haufe Blog "Mitarbeiter führen Unternehmen".