Agilität New Work

Was wir von Zalando für New Pay lernen können

Kommentar Führt Peer-Bewertung zu Lohnrepression oder zu New Pay? Am Beispiel von Zalando und seiner Feedback-Software Zonar als ein Element von Vergütung und Talentmanagement lässt sich exemplarisch ablesen, worauf es dabei ankommt.

Keine Feedback-Kultur ohne Fehlerkultur. Foto von Roman Pohorecki von Pexels
Keine Feedback-Kultur ohne Fehlerkultur. Foto von Roman Pohorecki von Pexels

Peerbewertung: Ein Schritt zu mehr Transparenz?

Teamarbeit, Partizipation und Fairness gelten als A und O für neue Arbeitsumfelder, Agilität und New Work. Dazu passt, dass nicht allein die Chefs, sondern auch Kollegen bei Gehalt und Karriereentwicklung ein Wörtchen mitreden können. Schließlich wissen sie oft am besten, was ihre Peers draufhaben und wie stark sie sich in ihrem Tätigkeitsfeld engagieren. Diese Art der Peerbewertung von Leistung und sozialem Verhalten ist bei Zalando seit rund drei Jahren über die Software Zonar (Background-Infos zu dem Tool siehe Blogartikel von Persoblogger Stephan Scheller) möglich. Das sei ein Fortschritt gegenüber Zeiten, in denen nur Führungskräfte entschieden, ob jemand befördert werde oder mehr Geld bekomme. „Jetzt fließt ein, wie Kollegen, firmeninterne Kunden und Führungskräfte über einen denken. Dieses System ist fairer als vorher“, sagte Personalchefin Astrid Arndt der Süddeutschen Zeitung.

Zonar erzeuge ein Gefühl der Überwachung, Leistungsdruck und Stress – lautet hingegen ein Vorwurf, den Forscher der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung anhand einer Studie erheben, für die sie zehn Mitarbeiter von Zalando befragt haben. Inwiefern dies zutrifft, lässt sich auf Grundlage der vorliegenden Untersuchung schwer beurteilen. „Bei Zalando verwenden nach eigenen Angaben rund 5.000 der 14.000 Angestellten ‚Zonar‘. Von einer repräsentativen Studie kann damit keine Rede sein“, heißt es bei Haufe online. Dennoch können Unternehmen aus dem Shitstorm rund um das 360-Grad-Feedbacktool einiges lernen, insbesondere für New Pay.

It's all about the culture

Das Konzept „New Pay“ (siehe Sven Franke, Stefanie Hornung und Nadine Nobile) geht davon aus, dass Vergütungssysteme zur Kultur passen sollten bzw. dass für eine sich ändernde Arbeitswelt im Zuge von „New Work“ auch neue Vergütungssysteme vonnöten sind. Peerbewertung ist dabei ein möglicher Ansatz im Prozess hin zu einem kulturkonformen Vergütungsverfahren. Die Vorwürfe gegen Zalando sollten also auch die New-Work-Szene hellhörig machen. Warum gelingt Peerbewertung hier nicht reibungslos? Sind Kollegen-Feedback und der Einsatz einer Software prinzipiell problematisch oder worauf kommt es letztlich an?

Um sich einer Antwort auf diese Fragen anzunähern, hilft Unternehmen ein ehrlicher Blick auf Spannungsfelder von Kultur und Vergütung und mögliche widersprüchliche Signale in diesem Zusammenhang:

  1. Leistungskontrolle versus Wir-Denken

Zalando betont sein berechtigtes Interesse an Leistungskontrolle. Aber ist Leistungskontrolle überhaupt möglich und wenn ja, wie? Im Performance Management geht es um nichts anderes. Häufig sind die Hochleistungsträger oder High Performer in den Schlagzeilen, die Unternehmen durch individuelle Boni oder Gehaltssteigerungen an sich zu binden versuchen. Ihr Pendant am unteren Ende der Leistungsskala sind die Niedrigleister oder Low Performer. Bei Zalando gibt es drei Leistungsgruppen: In der Mitte kommen noch die Good Performer hinzu, die weder besonders positiv noch besonders negativ auffallen.

High Performer, Good Performer, Low Performer

Dieser Ansatz kann jedoch dem Teamgedanken oder dem Wir-Denken im Unternehmen widersprechen: Laut aktuellem Stand der Forschung ist erfolgreiche Teamarbeit bei wissensintensiven, komplexen Tätigkeiten mehr als die Summe der Einzelleistungen. Es braucht vielmehr kollektive Intelligenz. Eine verhältnismäßig starke Belohnung vermeintlicher Hochleistungsträger kann das Teamgefühl empfindlich stören. Hinzu kommt: Menschen, die sich wegen Geld oder Status für ein Unternehmen entscheiden, haben meist keine hohe Bindung an einen Arbeitgeber. Die Wissenschaft spricht vom Söldner-Effekt. Mit diesem Wissen sollten Unternehmen entscheiden, was sie unterstreichen möchten – Teamarbeit oder Einzelleistung.

  1. Entwicklung versus Beurteilung durch Feedback

Feedback kann ein Geschenk für Beschäftigte sein: Wie andere ihre Arbeit wahrnehmen, gibt ihnen wichtige Impulse zur Weiterentwicklung. Im Fall von Zalando scheint es sich laut Medienberichten jedoch nicht um Feedback in seiner reinsten Form zu handeln. Vielmehr beeinflusst die Einschätzung der Kollegen in gewisser Form auch das Gehalt und die Karriereentwicklung der Mitarbeiter im Unternehmen.

Feedback, Urteil und Lob gilt es klar auseinanderzuhalten.

Dieses Vorgehen kann kontraproduktiv sein, wenn die Begrifflichkeiten nicht klar sind. Feedback, Urteil und Lob gilt es klar auseinanderzuhalten (hilfreich ist dazu dieser Blogbeitrag von Prof. Dr. Armin Trost). Wer möchte, dass sich Mitarbeiter anhand von Feedback verbessern können, geht mit Sanktionen des Verhaltens auf anderen Ebenen (wie eben Gehalt und Karriere) das Risiko ein, dass echte Weiterentwicklung misslingt und nur diejenigen intern weiterkommen, die sich am besten an das System anpassen.

  1. Anonymität versus Transparenz von Feedback

Zalando möchte über die Software Zonar Anonymität der Bewertung gewährleisten. Deshalb hat der Online-Händler das sogenannte People Review Commitee(PRC) eingeführt, ein Gremium, das auf Basis der Daten Gehaltsentscheidungen fällt. Prinzipiell kann ein derart anonymes Verfahren den Vorteil haben, dass kein sozialer Druck bei der Einschätzung entsteht.

Die Kehrseite der Medaille bzw. der fehlenden Transparenz sind allerdings Misstrauen und Spekulationen über Unregelmäßigkeiten im Bewertungsprozess – und dies betrifft nicht nur Zweifel an der tatsächlichen Anonymität wie im Fall von Zalando. Hier steht auch der Vorwurf im Raum, dass es sich um eine Scheinbewertung handelt und Führungskräfte letztlich doch wieder nach Gutdünken entscheiden. Zudem übten manche Führungskräfte Druck auf Mitarbeiter aus, die Kollegen nicht zu positiv zu bewerten. Das Ziel dieser bewussten Verzerrung sei Lohnrepression. Diese Vermutungen spiegeln Erkenntnisse der Gerechtigkeitsforschung wider: Wenn Organisationen nicht eindeutig erklären können oder nicht transparent machen, wie Gehaltsunterschiede zustande kommen, werden sie von Mitarbeitern leicht als unfair empfunden. Umgekehrt akzeptieren Beschäftigte Gehaltsunterschiede eher, wenn sie wissen, welche Kriterien tatsächlich dazu geführt haben. 

Anonymes Feedback senkt Hemmschwellen. Es kann aber auch zu Misstrauen und Spekulationen führen.

  1. Vertrauenskultur versus Kontrollkultur

Ehrliches Feedback und objektive Bewertung sind vor allem eine Frage der Kultur. Wenn Fehler und offene Ansagen über Schwierigkeiten unter Kollegen erlaubt oder gar erwünscht sind, werden entsprechende Bewertung nicht zum Stigma, sondern gehören zum Arbeitsalltag selbstverständlich dazu. Spannungen und Kommunikationsprobleme geraten an die Oberfläche, um sie künftig auszuräumen. Zalando behauptet von sich, von jeher eine offene Feedbackkultur zu leben. Haben die Vorwürfe, die durch die aktuelle Berichterstattung im Raum stehen, also vor allem mit der Software Zonar zu tun?

Keine Feedback-Kultur ohne Fehlerkultur

Ob Zonar mit dem Datenschutz vereinbar ist oder nicht – derzeit prüfen das die Behörden noch. Ebenso ist offen, ob die Software tatsächlich zu einer verstärkten Überwachung und Leistungsdifferenzierung bei den Mitarbeitern geführt hat oder ob eben dies Ausdruck der Zalando-Kultur darstellt. Ein Vergleich der Teams, die Zonar einsetzen, mit solchen, die dies nicht tun, wäre als Grundlage für eine neutrale Studie zu dem Thema wichtig gewesen. Grundsätzlich gilt jedoch: Mit dem Einsatz von Feedback-Tools können Unternehmen Aspekte ihrer Kultur unterstreichen oder gar verstärken – egal, ob es sich um eine Vertrauens- oder eine Kontrollkultur handelt. Oder wie es der Psychologe Prof. Dr. Simon Werther in einem Podcast mit Gründerszene sagt: „Ein Hammer kann ein Instrument sein, um zu Töten oder sinnvolle Dinge zu tun.“

Das Fazit aus der Geschichte: Wenn Unternehmen vermeiden möchten, dass Peerbewertung zum Bumerang wird, kommt es auf eine konsistente Strategie für Vergütung und Talent-Management an. Letztlich ist das ein Argument für New Pay. Neue Vergütungsansätze sollten zur Kultur passen, sonst schaden sie mehr als sie nützen – der Reputation eines Unternehmens und der Akzeptanz des Vergütungssystems.