Innovation The Next Normal

„Die Leute werden sich überlegen, ob sie für zwei Meetings überhaupt ins Büro kommen“

Interview Martin Rodeck, Executive Managing Director Deutschland beim Büroentwickler EDGE, erklärt, wieso die Home-Office-Welle seine Branche nicht gefährdet, was er von schlauchartigen Teeküchen hält und wie die Situation unsere Meeting-Kultur verändern wird.

Hofft auf das Ende schrammeliger Teeküchen: Martin Rodeck von EDGE.
Hofft auf das Ende schrammeliger Teeküchen: Martin Rodeck von EDGE.

Permanent learning by doing

Eine Firma, die Bürogebäude entwickelt, baut und gestaltet, sitzt jetzt plötzlich selbst nicht mehr im Büro. Wie seid Ihr in dieser neuen Situation angekommen?

Ich bin froh, wie gut es bei uns läuft. Wir hatten bereits zuvor eine sehr homogene IT-Infrastruktur und arbeiten komplett cloudbasiert. Das heißt, von wo meine Leute arbeiten, ist unter diesem Blickwinkel wirklich egal. Insofern war es ein ziemlicher Warmstart, was die technischen Grundlagen angeht.

Wie hat sich die Entscheidung auf Eure Kommunikation ausgewirkt?

Wir haben an Tag Eins gesagt: Leute, ab sofort ist Microsoft Teams Standard. Wir haben sämtliche Formate, von den Projektteam-Treffen bis zum Management-Meeting umgestellt. Unser IT-ler war damit natürlich zunächst nicht glücklich, der hätte es gern viel programmierter und Schritt für Schritt eingeführt. Stattdessen passiert es jetzt sehr viel schneller learning by doing. Das war quasi ein erzwungener IT-Innovationsschub für uns – der aber sehr wertvoll war.

Gibt es jetzt neue Probleme, die es im Büroalltag nicht gäbe?

Natürlich. Das reine Austauschen von Informationen, das kann Technologie ersetzen. Was aber nicht ersetzbar ist, ist das physisch erlebte Miteinander: Dass man sehen kann, ob jemand gerade eher den Kopf hängen lässt oder einem mit fröhlichen Augen begegnet. Bei Bewerbungsprozessen zum Beispiel ist dieser direkte persönliche Eindruck besonders relevant. Ich kann mir nicht vorstellen, jemanden für eine zentrale Rolle rein virtuell einzustellen. Wir machen finale Bewerbungsgespräche daher weiter in Präsenz – natürlich das Abstandsgebot befolgend. Das Problem setzt sich dann aber beim Onboarding fort. Ich kann aktuell niemanden wie üblich im Büro begrüßen und mich mit ihm oder ihr erstmal hinsetzen und die Person ankommen lassen. Unsere Neuen machen jetzt an ihrem ersten Tag morgens um neun Uhr den Rechner an und gucken auf ein Teams-Bild voll fremder Menschen. Das ist kein triviales Problem, nicht für die Menschen, die neu dabei sind und auch nicht für die, die das Onboarding organisieren.

Welle von Innovationen

The Next Normal
Dieses Interview ist Teil von „The Next Normal“ – einer qualitativen Studie zur Zukunft von Organisationen, für die rund 100 Führungskräfte interviewt wurden. „The Next Normal“ ist eine Kooperation von  Metaplan und Haufe. Erste Ergenisse der Studie werden am 14.Mai von 16-19 Uhr in einem digitalen Symposium vorgestellt. Wenn Sie daran teilnehmen möchten, schreiben Sie einfach an larsgaede@
metaplan.com
.

Solche spontanen Treffen fehlen jetzt ja nicht nur für neue Mitarbeiter, sondern bei all euren Abläufen. Macht sich das bemerkbar?

Auf jeden Fall. Unsere Firma folgt natürlich einem klaren Regelwerk. Wir bewegen Milliarden, wir müssen viele formale Prozesse einhalten und jeden Schritt dokumentieren. Aber wir sind auch inhabergeführt und haben eine wirklich flache Hierarchie. Vieles passierte also schnell mal auf dem kurzen Dienstweg. Dieser informale Wissensaustausch in einem Projekt, der geht jetzt verloren. Zu Beginn stapelte sich über die Woche also alles und erst im Wochenmeeting wurde der Stapel dann entlang der Agenda abgearbeitet. Darauf haben wir dann reagiert.

Wie genau?

Im Management haben wir normale „Touchpoints“, die wir zweimal pro Woche machen. Das haben nun wir an den verbleibenden Tagen der Woche um ein „Management-Morning-Briefing“ ergänzt. Wir wählen uns morgens um neun in ein Teams-Meeting ein, Kaffee in der Hand, ohne Agenda – und gucken: Was liegt an am Tag? Es ist eine Mischung aus: „Wie geht es dir?“ und dem Diskutieren von Themen, querbeet und ohne formale Entscheidungen.

Menschen suchen Gespräch mit dem Management

Du hast beschrieben, dass Ihr eher flache Hierarchien habt. Es gibt Organisationen, die gerade in dieser Situation eher zurückschalten auf zentralisierte Entscheidungswege, weil man sich davon Schnelligkeit verspricht. Wie erlebt ihr das?

Ich nehme wahr, dass die Kommunikation mit dem Management mehr gesucht wird. Das liegt nach meiner Beobachtung daran, dass es jetzt keine Zufallsbegegnungen mehr gibt. Vorher war die Überlegung vielleicht: ‚Martin hat das bestimmt mitbekommen. Darüber haben wir doch letzte Woche auf dem Flur geredet.‘ Jetzt ist klar: Hat er nicht. Denn es gibt ja keine Begegnungen im Flur. Also werde ich viel öfter in Team-Meetings geholt oder angerufen und bekomme dann gesagt: Pass auf, wir haben hier ein Thema, das würden wir gerne zehn Minuten besprechen.

Es ist nach wie vor so, dass die Teams mir sagen sollen wo es langgeht. Sie wollen bei mir aber ab und an testen, ob sie auf dem richtigen Weg sind.
Martin Rodeck, Executive Managing Director Deutschland, EDGE

Triffst du jetzt also mehr Entscheidungen von oben nach unten?

Nein, es ist keine Verdrehung zu Top-Down-Entscheidungen. Es ist nach wie vor so, dass die Teams mir sagen sollen wo es langgeht. Sie wollen bei mir aber ab und an testen, ob sie auf dem richtigen Weg sind. Das heißt: Die Kultur bleibt die gleiche. Nur die Formate und ihre Häufigkeiten ändern sich – und ich hoffe, das bleibt ein Stück weit auch.

Warum?

Ich merke, dass ich wieder eine größere Detailkenntnis zu den einzelnen Projekten habe. Das wird durch diese Situation erst wieder ermöglicht. Ich habe keine Abendveranstaltungen und wenige Akquisitions-Meetings bei Kunden vor Ort, stattdessen eher mal ein Telefonat. Das heißt, ich habe mehr Zeit, mich um die Themen und Fragen der Teams zu kümmern.

Nicht nur ihr seid jetzt im Home-Office, sondern auch die meisten anderen Firmen, die es irgendwie möglich machen können. Man lernt: Es geht! Für dich als Chef einer Firma, die Büros baut: Macht einem das Sorgen?

Nein, gar nicht. Erstens: Wir haben bereits vor der Krise Gebäude gebaut, die sehr flexibel nutzbar sind. Wir haben auch immer schon die technische Infrastruktur geliefert, die das Andocken von Remote oder im Homeoffice Arbeitenden problemlos ermöglicht. Es kann natürlich sein, dass die Nachfrage konjunkturbedingt erst einmal etwas schlechter wird oder Mieter nicht mehr 10.000 Quadratmeter suchen, sondern nur noch 8.000. Aber wir liefern ein Produkt, das auf sich ändernde Anforderungen im Markt und in der Gesellschaft gute Antworten hat, deswegen wird es sich auch weiter durchsetzen. Zweitens werden jetzt Unternehmen, die vorher gedanklich nicht mal in der Nähe unserer Arbeits- und Raumkonzepte waren, jetzt mit ihnen konfrontiert. Es wird eine Innovationswelle durch die Unternehmen gehen, bis hinein in die konservativsten ihrer Art. Vorher wollten sie sich selten mit innovativen Bürokonzepten befassen, aber jetzt muss das jeder.

Abstandsgebot und Flurfunk – kann das gehen?

Wagen mir mal den Ausblick: Wie wird sich die Krisenerfahrung auf die Büros der Zukunft auswirken? Rücken jetzt virologische Dimensionen ins Zentrum, über die man vorher nie nachgedacht hätte?

Absolut. Wir haben für unsere eigene Situation ein kleines Team aufgesetzt, das die Schwachpunkte unseres Büros analysiert. Ein Ergebnis ist dabei: In einem normalen Büroraum bei der Arbeit Abstand zu halten, ist nicht das Problem. Das Problem sind die Flaschenhälse: Das ist der Ein- und Ausgangsbereich oder Räume wie eine Teeküche – Orte, an denen Menschen eben nicht ihrer Standardarbeit nachgehen. An diesen Engpässen, im wahrsten Sinne des Wortes, kommst Du auch baulich kaum vorbei. Du kannst es nur organisieren. Durch die eine Tür hinein, durch die andere heraus, zum Beispiel. Es geht also eher um Verhalten und nicht zwingend um bauliche Anpassung.

Es wird eine Innovationswelle durch die Unternehmen gehen, bis hinein in die konservativsten ihrer Art. Jetzt muss sich jeder mit innovativen Bürokonzepten auseinandersetzen.
Martin Rodeck, Executive Managing Director Deutschland, EDGE

Diese Flaschenhälse finde ich sehr spannend. Natürlich sind die virologisch betrachtet problematisch. Aber es sind ja auch die Orte, an denen im Büro oft die Magie passiert, wo die zufälligen Begegnungen stattfinden, aus denen oft Neues entsteht. Wenn ausgerechnet das, was der Schlüsselvorteil von Büros war, jetzt ihr Nachteil wird – dann ist das doch ein Problem?

Ja, wobei ich sagen muss, das wird nur dort schwierig, wo Büros ohnehin schlecht konzipiert sind. Wenn ich die klassische schlauchartige Teeküche habe, weil jemand gesagt hat, `In diesen Raum machen wir auf der einen Seite eine Küchenzeile, auf die andere kommt ein schrabbeliger Tisch, zwei Stühle und ein Mülleimer´ – dann ist das entgegen der Klischees sowieso nicht der Ort, wo die Magie passiert. Die passiert nicht in Flaschenhälsen, sondern eher dort, wo man Wohnzimmercharakter hat, Luft und Raum. Wo man sich wohlfühlt, weil man entspannt auf dem Sofa sitzen kann, jeder auf einer Ecke, der Dritte auf einem Hocker davor. In gut gemachten Büros sind Begegnungsräume längst als solch offene Orte konzipiert.

Das haben wir jetzt alle gelernt: Es müssen nicht alle Beteiligten immer im gleichen Raum sitzen.

Haben sich Eure Anfragen, vielleicht sogar Eure laufenden Projekte durch die Situation geändert – vielleicht, weil eine Firma nun auf die Pläne schaut und die neue Situation in die Bürogestaltung einbeziehen will?

Zumindest in deutschen Projekten haben wir aktuell keine Änderungsanfragen. Wahrscheinlich ist es dafür noch zu früh. Wo ich Veränderungen erwarte, ist im Bereich der Infrastruktur für hybride Meetings. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass wir zukünftig Meeting-Räume planen, ohne einen voll ausgestatteten großen Screen mit exzellentem Ton, einer guten Videokamera, komplett vernetzt mit allen Tools, so dass alle Teilnehmenden gleichberechtigt am Meeting teilnehmen können -  egal, ob sie im Büro sind oder sich von außen dazuschalten. Denn: Die Leute werden sich zukünftig viel stärker überlegen, ob sie für zwei Meetings überhaupt ins Büro kommen. Denn das haben wir jetzt alle gelernt: Es müssen nicht alle Beteiligten immer im gleichen Raum sitzen.