New Work Digitalisierung

Im Tal der Netzwerker: Wie New Work im Silicon Valley funktioniert

Was können deutsche Manager und Personaler aus dem Silicon Valley mitnehmen? Das Personalmagazin hat eine Gruppe auf ihrer Learning Journey dorthin begleitet.

Deutsche Manager lernen New Work im Silicon Valley
Deutsche Manager lernen New Work im Silicon Valley

In der Küche stehen rund vierzig Personen auf engstem Raum zusammen und reden in kleinen Grüppchen von zwei bis vier Leuten wild durcheinander. Sie lachen, gestikulieren, stoßen miteinander an. Auf dem Ofen köcheln drei Töpfe Chili con Carne vor sich hin, daneben stehen Chips mit Guacamole und verschiedene Nudelsalatvariationen. Dass es sich bei dem ungezwungenen Zusammensein nicht um eine private Feier, vielleicht eine WG-Party, handelt, erkennt man erst auf den zweiten Blick – etwa daran, dass Visitenkarten im Minutentakt die Hände wechseln und viele der Partygäste Namensschilder tragen. Die meisten der Anwesenden haben sich heute erst kennengelernt, vielen steckt noch der Jetlag in den Knochen – und trotzdem ist von Müdigkeit oder angestrengter Konversation keine Spur.

Besuche bei Google, Ideo und Co.

Die Netzwerkerrunde ist Teil einer Reise ins Silicon Valley, die Haufe in Zusammenarbeit mit der Leuphana Universität Lüneburg als dreitägige Learning Journey für deutsche Manager konzipiert hat. Die Teilnehmer des Seminars mit dem Titel „Inside Silicon Valley: A Leadership Garage Experience“ sollen bei der Reise selbst live vor Ort erfahren, was Firmen im Silicon Valley so innovativ macht. Im Februar hat die erste Gruppe dieses Experiment gewagt: Rund 20 HR- und andere Manager aus Unternehmen verschiedener Größen und Branchen sind nach Kalifornien gereist; im Laufe der Tage stießen immer wieder Referenten und andere Innovationsexperten aus dem Netzwerk der Organisatoren zu ihnen. Auf der Agenda standen Besuche bei Tech-Unternehmen wie Google und Xerox, der Innovationsberatung Ideo sowie Vorträge mit Einblicken aus Wissenschaft und Praxis.

Netzwerkerrunde im Silicon Valley
Netzwerkerrunde im Silicon Valley

Geleitet wurde die Reise von Professor Sabine Remdisch von der Leuphana Universität und Stephan Grabmeier von Haufe-Umantis, die das Seminar auf Basis einer dreistufigen Learning Journey konzipiert hatten. Im ersten Schritt sollten die Teilnehmer erleben und spüren, was im Silicon Valley anders läuft als zu Hause und wie dortige Firmen die Digitalisierung mitgestalten. Im zweiten Schritt sollten sie das Erlebte hinterfragen und verstehen. Und im dritten Schritt sollten sie die daraus gewonnenen Erkenntnisse auf ihren eigenen Arbeitsalltag übertragen. Das Personalmagazin war dabei und berichtet über die Learning Journey sowie die Erkenntnisse, die die Personaler mitgenommen haben.

Denkweise „Ten-X Thinking“

Erleben konnten die Personaler den vielbeschworenen „Silicon-Valley-Spirit“ im Laufe der drei Tage bei zahlreichen Exkursionen – so etwa beim mit Spannung erwarteten Besuch in der Google Garage. Im Innovationslabor des US-Internetriesen in Mountain View wird auf die Methode Design Thinking gesetzt. Die Teilnehmer konnten dort die innovativen Werkzeuge des Unternehmens im wahrsten Sinne des Worts begreifen: An einer Wand hingen Sägen, Hämmer und Nägel, darunter verschiedene Materialien zum Bauen von Prototypen; in einer großen roten Plastikkiste lagen Legosteine zum Visualisieren von Ideen. Anhand von Übungen sollten die Besucher dort im zweiten Schritt auch verstehen, welche Geisteshaltung hinter dem sogenannten „Moonshot Thinking“ bei Google steht: Dafür bat der Leiter der Google Garage, Frederik G. Pferdt, die Teilnehmer, sich Lösungen für bislang unlösbare Probleme in ihrem Arbeitsalltag zu überlegen. Der Clou dabei: Ideen zu finden, ohne sich dabei durch das vermeintlich Unmögliche einzuschränken. Ein einfacher sprachlicher Kniff half dabei: Man solle seine Sätze nicht mit „Ja, aber“, sondern mit „Ja, und“ beginnen, riet Pferdt. Durch diese offene Haltung könnten innovative Denkansätze entstehen.

Mehr über diese Geisteshaltung erfuhren die HRler auch von anderen Referenten – die die Denkweise auch als „Ten-X Thinking“, also ein „Denken mal zehn“, bezeichneten. Professor Alar Kolk, Präsident der European Innovation Academy, beschrieb am ersten Seminartag die Merkmale dieses Denkens so: Erstens müsse man langfristig denken, zweitens schnell in die Experimentierphase gehen und drittens Daten nutzen, um den Projektfortschritt zu untermauern.

Risikobereit seit Goldrausch?

Ganz risikolos ist das „Ten-X Thinking“ jedoch nicht. Doch die Teilnehmer lernten schnell, dass das Scheitern so konzipierter Projekte als feste Größe mit in den Innovationsprozess einkalkuliert ist. Diese Risikobereitschaft führte der Stanford-Professor Keith Devlin, der ebenfalls am ersten Tag des Seminars einen Vortrag hielt, auf die speziellen Umstände im Silicon Valley zurück: So gebe es beispielsweise viele gut ausgebildete Arbeitnehmer mit geringer Bindung zu ihrem Arbeitgeber, die man schnell rekrutieren könne. Zudem sei es Usus, dass auch gescheiterte Gründer wieder zu ihrem alten Arbeitgeber zurückkehren können – auch wenn deren gescheitertes Start-up in direkter Konkurrenz zu ihrem vorherigen Arbeitgeber gestanden habe. Aber auch historische Faktoren spielten eine Rolle, glaubt Devlin: so etwa die Goldrausch-Vergangenheit Kailforniens, wohin Ende des 19. Jahrhunderts viele risikofreudige Goldgräber auf der Suche nach Reichtum strömten.

Diese agile, risikobewusste Trial-and-Error-Einstellung – schnell handeln, schnell scheitern, schnell wieder neu anfangen – wollten viele Teilnehmer sodann gleich für ihre HR-Arbeit mit nach Hause nehmen. „Ich denke, dass HR sich neu definieren muss“, resümierte etwa Tanja Friederichs, Vice President Human Resources bei der Puls GmbH. Die Personaler sollten sich fragen, wie sie das Business schnell und unkompliziert unterstützen können. „Wir sollten nicht versuchen, die letzte Perfektion zu erreichen, sondern sagen: Lasst uns vorangehen, lasst es uns einfach versuchen“, so die Personalerin. „Das ist eine Philosophie, die ich meinem Team gerne mitgeben möchte.“

Ich denke, dass HR sich neu definieren muss.
Tanja Friederichs, Vice President Human Resources, Puls GmbH

Forschung und Praxis eng verknüpft

Beim Besuch der D-School, der Design-Thinking-Schule der Stanford University, erlebten die Teilnehmer live, wie dieses Ausprobieren mithilfe der Methode Design Thinking gelingen kann. Dort wurden ihnen zudem weitere Methoden zur Förderung der Zusammenarbeit und des gemeinsamen persönlichen Austauschs vorgestellt. Denn auch in der digitalen Welt empfiehlt sich manchmal einfach das gemeinsame Gespräch am Tisch ohne digitale Unterstützung: So konnten die Besucher in der D-School spezielle Tische begutachten, die dafür konzipiert sind, den Vier-, Sechs- oder Acht-Augenaustausch zu vereinfachen. Sie sollen das gemeinsame Arbeiten an Prototypen erleichtern und der dabei so wichtigen Haptik Rechnung tragen. Aber auch in puncto virtueller Zusammenarbeit konnten sich die Personaler in Stanford weiterbilden: Dort gab es intuitiv und spielerisch anmutende Online Collaboration Tools zu erleben.

Das Seminarprogramm spiegelte mit ihren Stanford-Exkursionen daneben eine ganz besondere Zusammenarbeit im Silicon Valley wider: jene zwischen Wissenschaft und Praxis. Stanford gilt als Mutter vieler Tech-Unternehmen in der Gegend, viele Absolventen haben eins oder mehrere Start-ups gegründet. Und auch schon während des Studiums haben Studenten dort die Möglichkeit, am lebenden Objekt zu forschen: Die Prototypen in einer Vitrine auf dem Campus erzählen etwa davon, wie Studenten im Auftrag einer Schuhfirma spezielle Schuhe für Senioren herstellten.

Kein Netzwerken ohne Storytelling

Auch in der D-School zeigte sich einmal mehr, wie leicht den Bewohnern des Silicon Valley das Netzwerken fällt: Die Studenten stellten den staunenden Personalern spontan ihre aktuellen Projekte vor. Und fiel es manchem Teilnehmer am Anfang der Woche noch ein wenig schwer, sich auf den spontanen Austausch mit Fremden einzulassen, kamen sie schnell dahinter, wie man eine solche Konversation beginnt, in Gang hält und dann auch elegant wieder beendet, um sich anderen Networkern zuzuwenden – und, dass auch beim beruflichen Netzwerken Partystimmung aufkommen kann.

Ein weiteres Learning dabei: Wer im Silicon Valley unterwegs ist, sollte immer einen kurzen Elevator Pitch über sich selbst und seinen Werdegang auf Lager haben – denn oft ist hier die Frage zu hören: „What’s your story?“ – also die Frage danach, welche Geschichte man zu erzählen hat. Wer etwas auf sich hält, weiß also, seine Zuhörer mit einer fesselnden Story für sich zu begeistern.

Die Kunst des US-Storytelling nimmt dann auch Teilnehmer Joachim Vorndran, Head of ECM & Collaboration Solutions bei Eon Business Services, als wichtigstes Souvenir von seiner Reise mit nach Hause. Er habe gelernt, die Dinge „deutlich pointierter rüberzubringen und simpler herunterzubrechen, um zu zeigen, was man wirklich verändern will – und die Stakeholder damit buchstäblich anzustecken“. Ein weiteres Learning ergänzt Vorndrans Eon-Kollege Holger Jung: Er nehme vor allem die Geschwindigkeit mit, mit der im Silicon Valley Innovatio­nen vorangetrieben werden.

Ich habe gelernt, die Dinge deutlich pointierter rüberzubringen und simpler herunterzubrechen, um zu zeigen, was man wirklich verändern will – und die Stakeholder damit buchstäblich anzustecken.
Joachim Vorndran, Head of ECM & Collaboration Solutions, Eon Business Services

Der Appell an den Geschwindigkeitssinn der Teilnehmer hat offenbar seine Wirkung getan: Am Ende der drei Tage kann so mancher Teilnehmer es kaum erwarten, die neuen Ideen in Deutschland umzusetzen. Friederichs berichtet etwa zum Abschluss, sie habe schon von den USA aus angefangen, Maßnahmen zu Hause in Deutschland umzusetzen. Unter anderem seien diese Maßnahmen auch durch die neuen Netzwerkkontakte während der Reise entstanden.

„Deutschkompatible Adaption“

Frank Straube, Professor für Logistik an der TU Berlin und Referent bei der Silicon-Valley-Reise, mahnt zu Besonnenheit beim Umsetzen des Gelernten. Denn das Silicon-Valley-Prinzip lasse sich nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. „In Deutschland haben wir uns Sozialstandards hart erkämpft“, nennt Straube einen Grund gegen die sofortige Silicon-Valleyisierung der deutschen Arbeitswelt. Er verweist auf das Beispiel des Fahrdienstvermittlers Uber, der mit keinem seiner Fahrer einen Arbeitsvertrag habe. Auch der Blick auf Devlins Analyse der Silicon-Valley-Erfolgsfaktoren lässt erahnen, dass viele Voraussetzungen in Kalifornien ganz andere sind – schon alleine aufgrund der geltenden Gesetze.

Das Fazit der meisten Teilnehmer ist daher auch eine „deutschkompatible Adaption“ des Gelernten, wie es Teilnehmer Vorndran beschreibt. Für Markus Durstewitz, Head of Innovation and Tools bei Airbus und Referent bei der Silicon-Valley-Journey, ist es vorrangig der „Spirit“, den er mitnimmt. Ihn hat vor allem die erlebte Agilität beindruckt und die Art, wie sich Unternehmen im Valley auf Veränderungen einstellen.

Die Schritte eins und zwei der Learning Journey – das Erleben von Neuem und das Verstehen der dahinterstehenden Prinzipien – haben offenbar schon funktio­niert. Nun ist es an den Teilnehmern, das Gelernte auf die eigene betriebliche Wirklichkeit zu übertragen. Ob dies gelingt? Wir werden es bald erfahren, denn es ist bereits ein Folgetermin zu dieser Reise in Planung. Und auch die Teilnehmer tauschen sich schon rege aus – ganz im Sinne des „Silicon-Valley-Spirits“.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Personalmagazin, Ausgabe 4/2016.

KEY FACTS

Netzwerken als zentrale Kompetenz im innovativen Umfeld

Ausrichtung von HR mit Design Thinking angehen?

Storytelling statt stumme Visitenkarten