Innovation New Work

Mehr Flow, richtiges New Work und Empowerment für Innovationen wagen

Deutschland braucht keinen Ruck, sondern mehr Flow. Und Unternehmen sollten auf das psychologische Empowerment der Mitarbeitenden setzen, auf deren Kompetenzerleben. Dann klappt es auch mit der Innovation, meint unser Kolumnist Gunnar Sohn.

Foto: Tobias Carlsson, Unsplah.com
Foto: Tobias Carlsson, Unsplah.com

"New Work" ist ein Etikett

New Work wird immer mehr zur lächerlichen Phrase und zum Containerbegriff. Jeder schmeißt rein, was so gerade angesagt ist. Werden so genannte Open-Space-Büros eingeführt, um Mietfläche zu sparen, ist das selbstredend New Work. Will ein Coach Achtsamkeitskurse oder eine Unternehmensberatung agile Projektarbeit verkaufen, dann wird das Etikett New Work drauf geklebt. „Solche Container haben die Eigenschaft, dass sie nach einiger Zeit zu riechen beginnen. Dann hält man lieber Abstand“, sagt Professor Carsten C. Schermuly, Autor des Buches „New Work Dystopia".

Das Opus ist explizit keine Abrechnung mit der ursprünglichen New-Work-Idee: „Ich verstehe New Work als Praktiken in Organisationen, die das Ziel haben, das psychologische Empowerment der Mitarbeitenden zu steigern. Psychologisches Empowerment setzt sich aus vier Wahrnehmungen der Arbeitsrolle zusammen: Bedeutsamkeit, Kompetenz, Selbstbestimmung und Einfluss“, betont der Wirtschaftspsychologe. In seiner Abhandlung steht das fiktive Unternehmen „Kaltenburg“ für die Trivialisierung und Instrumentalisierung die ursprünglich von Frithjof Bergmann entwickelte Idee des Abschieds von den Prinzipien der Massenproduktion des Industriekapitalismus. Ohne Ziel und trotz fehlender kultureller und personeller Voraussetzungen werde New Work seelenlos „missbraucht“, um Unternehmen profitabler zu machen.

Ich verstehe New Work als Praktiken in Organisationen, die das Ziel haben, das psychologische Empowerment der Mitarbeitenden zu steigern.
Prof. Dr. Carste C. Schermuly, SRH Hochschule Berlin

“New Work als Demokratieprojekt widerspricht autoritären Grundsätzen und einer autoritären Haltung. Selbst die Einführung von Homeoffice geht mit einer gesteigerten Arbeitsort-Autonomie einher“, erläutert Schermuly. Harte Kost für Führungskräfte, die noch im Generaldirektor-Modus unterwegs sind.

"Es geht um psychologisches Empowerment der Menschen." Carsten C. Schermuly, SRH Hochschule Berlin

Oft geht es allein um Effizienzsteigerung

In vielen Transformationsprojekten sollen Organisationen nur auf Effizienz getrimmt werden. Flache Hierarchien, Dezentralisierung, dann wieder Fokussierung auf das Kerngeschäft, dann sogleich die Umkehr auf Profitcenter. So etwas hören abhängig Beschäftige nun schon seit Jahrzehnten. Immer die gleiche Consulting-Leierkasten-Propaganda mit unterschiedlichen Wichtigtuer-Vokabeln als Opium für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.  Damit die Belegschaft nicht rebelliert, steckt man das Ganze Motivationsgesülze jetzt eben in New-Work-Geschenkpapier mit Schleifchen. „Das klingt niedlicher“, weiß Schermuly.

Flache Hierarchien, Dezentralisierung, dann wieder Fokussierung auf das Kerngeschäft, dann sogleich die Umkehr auf Profitcenter. Immer die gleiche Consulting-Leierkasten-Propaganda mit unterschiedlichen Wichtigtuer-Vokabeln als Opium für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

In der Forschung geht es Schermuly darum nachzuweisen, wie sich die Innovationsfähigkeit von Unternehmen verbessern lässt, wenn man Sinn, Selbstbestimmung, Einfluss und Kompetenz während der Arbeit erlebt. Im New-Work-Barometer seiner wissenschaftlichen Forschung gibt es dazu evidenzbasierte Befunde.

Häufig reduzieren Führungskräfte das Ganze nur auf eine Pseudo-Selbstbestimmung. Für die Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit von Firmen sei das sehr gefährlich, warnt Schermuly im Interview mit New Management. Wer keinen Einfluss bekomme und seine Kompetenz nicht zur Wirkung bringen könne, reagiere mit innerer Kündigung. Wenn Unternehmen alle vier Dimensionen von Empowerment adressieren, verringere sich die Fluktuation und es steige die Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit.

Das psychologische Empowerment und die psychologische Gesundheit der Mitarbeitenden haben einen entscheidenden Einfluss auf die Innovationsfähigkeit von Organisationen.

Ein wichtiger Punkt steht beim Wirtschaftspsychologen Schermuly ganz oben auf der Liste seiner Tipps, "und das ist keine Rocket Science": Intern sollten sich Organisationen mehr mit Zukunft und Zukunftsdiagnostik beschäftigen. Da kann man den Staat, die Wissenschaft, Verbände, die Privatwirtschaft und auch die Parlamente mit einbeziehen. Und das gar in einem deliberativen Vorgehen. Deliberatio, werte Bundesregierung: Erwägen, überlegen und am Ende entscheiden. Und nicht einfach von oben herab irgendeinen wohlklingenden Befehl in die Belegschaft hämmern. Zukunft gemeinsam festlegen, Ist-Zustand diagnostizieren und dann die organisationspsychologischen Voraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit schaffen. Das müsse bis zur Nachtschicht diskutiert werden, empfiehlt Schermuly. Für solch eine Transformation müsse man sich Zeit nehmen. Das gehe auch nicht punktuell oder in Berater-Rein-Raus-Zyklen. Wir wissen als Menschen sehr genau, welche Entwicklungsaufgaben vor uns liegen. „Warum sollte das in einem Unternehmen aufhören?“, fragt sich Schermuly.

Erwägen, überlegen, entscheiden

Das psychologische Empowerment und die psychologische Gesundheit der Mitarbeitenden haben einen entscheidenden Einfluss auf die Innovationsfähigkeit von Organisationen. Und da schneiden wir in Deutschland nach den aktuellen Zahlen des Gallup-Instituts super schlecht ab. Noch nie wollten so viele Menschen ihren Arbeitsplatz in den nächsten Monaten wechseln. Noch nie war die Unzufriedenheit so groß. Als Psychologe möchte Schermuly den Volkswirten nicht in die Parade fahren. Aber wie wäre es, fragt er, wenn wir in der Wirtschaftspolitik, bei Förderprogrammen, Budgets für Sprunginnoationen und Steuererleichterungen stärker über Team-Empowerment nachdenken?

Deutschland braucht keinen Ruck, sondern mehr Flow.

Deutschland braucht keinen Ruck, sondern mehr Flow im Sinne von Schermuly und im Sinne des Flow-Forschers Mihály Csíkszentmihályi. Die Verknüpfung der psychologischen Schule der Konjunkturtheorie mit anderen Disziplinen, wie der Geld- oder Preistheorie, sei die eigentliche Herausforderung, schreibt Wilhelm Röpke bereits 1932. Er zählte nach 1945 zu den Architekten der Sozialen Marktwirtschaft. Die eigentliche Aufgabe der Krisen- und Konjunkturtheorie sei es zu zeigen, „wie sich diese seelischen Vorgänge mit den realen Tatsachen des Wirtschaftslebens zu einem Gesamtzusammenhang verknüpfen, welche Verschiebungen sich auf diese Weise im Produktionsgefüge, in der Einkommenschichtung, im Banksystem und im Aufbau der Preise und Kosten ergeben.“ Das Seelische könne sogar eine aktive und selbständige Rolle spielen bei der Überwindung des toten Punktes in der Rezession. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sollte seinen Beraterkreis erweitern mit Wirtschaftspsychologen wie Carsten C. Schermuly.