Innovation Business Transformation

"Wir brauchen ein Ministerium für Entbürokratisierung"

Kommentar Fällt Deutschland bei Innovation und Entwicklung im Vergleich zu China zurück? Und was können wir tun, um das zu verhindern? Internationale Präsenz, Direktinvestitionen in den USA und mehr Mut, meint Prof. Hermann Simon. Und weniger Bürokratie.

Foto: Vladimir Godnik
Foto: Vladimir Godnik

China und Deutschland: Strafzölle vermeiden

Im Interview beleuchtet der Hidden-Champion-Forscher Hermann Simon die komplexen Dynamiken der Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und China sowie die Auswirkungen von Strafzöllen und Bürokratie auf die Wirtschaft. „Ich bin natürlich gegen Strafzölle und Handelsbeschränkungen, die dann zu Handelskriegen führen können.“ Er weist darauf hin, dass Strafzölle nicht nur die Exporte verteuern, sondern auch die Importkosten für Rohstoffe und Vorprodukte erhöhen, was letztlich die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie schwächt. Diese Maßnahmen könnten zu einer Spaltung der globalen Handelsbeziehungen und zur Schaffung isolierter Märkte führen, ähnlich wie in der Vergangenheit bei japanischen und koreanischen Autos.

Die globale Präsenz deutscher Unternehmen ist eine unserer größten Stärken, ebenso wichtig wie unsere technologische Kompetenz.
Prof. Hermann Simon

Amerikanische Unternehmen sehen die Situation in China unterschiedlich. Einige, wie Google und Facebook, dürfen dort nicht aktiv sein. Microsoft hingegen hat ein großes Geschäft in China, und Apple ist in zweifacher Hinsicht abhängig: Es braucht China als Produktionsstandort und als Absatzmarkt. Die meisten iPhones werden in der Foxconn-Fabrik in Zhengzhou hergestellt. China ist auch ein wichtiger Markt für Apple. Daher hat Apple eine andere Sichtweise als Firmen wie Facebook oder LinkedIn, die in China nicht tätig sein dürfen. In der Wirtschaft sind die Meinungen daher gespalten. In der amerikanischen Politik und Gesellschaft gibt es eine starke antichinesische Stimmung.

Globale Präsenz ist eine unserer größten Stärken

Seit 2008 erleben wir eine relative Deglobalisierung, die auch die Handelsbeziehungen beeinflusst. Dies könnte ein Grund sein, warum Deutschland seit 2008/2009 in den Wachstumsraten nicht so gut abschneidet. „Unsere Exporte könnten 10 oder 20 Prozent höher sein, was unser Bruttoinlandsprodukt entsprechend steigern würde“, meint Simon. Deutsche Firmen haben in den vergangenen Jahren enorme Kapazitäten im Ausland, insbesondere in China, aufgebaut. Über 8000 deutsche Firmen sind in China aktiv, und es gibt mehr als 2000 neu gebaute deutsche Fabriken dort. „Diese globale Präsenz ist eine unserer größten Stärken, ebenso wichtig wie unsere technologische Kompetenz. In den USA sind wir jedoch noch schwach aufgestellt. Die Priorität wird in den nächsten Jahren stark auf Direktinvestitionen in den USA liegen, auch aufgrund des Inflation Reduction Acts von Biden“, sagt Simon.

Unternehmen sollten den besten Standort für jede Aktivität weltweit finden. Das kann radikale Konsequenzen haben, wie bei zwei Firmen in der Bergwerkstechnologie, die ihre gesamte Wertschöpfungskette nach China verlagert haben. Ein anderer Hidden Champion baut sein Kompetenzzentrum für künstliche Intelligenz in China auf, da dort bessere Bedingungen herrschen. Chinesische Autozulieferer wollen nach Deutschland kommen, und im vergangenen Jahr gab es 156 chinesische Investitionen allein in Nordrhein-Westfalen. Einige Firmen etablieren rechtlich unabhängige Holdings in verschiedenen Regionen, um flexibler zu agieren.

Strategien zur Innovationsführerschaft

Der chinesisch-amerikanische Konflikt ist ein Damoklesschwert, das über Europa und Deutschland hängt. „Wir müssen alles tun, um nicht zwischen die Fronten zu geraten. Ein Krieg um Taiwan ist unwahrscheinlich, aber niemand kann das sicher wissen. Dr. Benedikt Franke von der Münchner Sicherheitskonferenz sagte, seine größte Angst sei, dass wir China verlieren, wie wir Russland verloren haben. Konfrontation wirkt kontraproduktiv, und wir sollten versuchen, Konfliktpotenziale zu dämpfen“, empfiehlt Simon.

Deutschland hat Rückstände bei Elektromobilen und Photovoltaik, aber wir sind stark in industrieller Digitalisierung und Prozessen. Beispiele wie ASML, Zeiss und Trumpf zeigen unsere Stärke. „In der Massendigitalisierung können wir mit den USA und China nicht mithalten, aber in spezialisierten industriellen Bereichen sind wir führend. Firmen wie Klingelnberg und andere Hidden Champions sind Weltmarktführer in ihren Nischen“, so Simon.

Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind wichtige Treiber. Ein Beispiel ist eine Firma in der Nähe von Bonn, die Systeme für die Brennkammern der SpaceX-Raketen fertigt. Nachhaltigkeit ist eine technologische Herausforderung in Nischenmärkten. Neue Technologien wie Lykocell, eine aus Holz erzeugte Faser, zeigen, wie neue Märkte entstehen können. Lyocell, eine von der Firma Lenzing entwickelte nachhaltige Faser, bietet eine Vielzahl von Vorteilen, die es zu einer hervorragenden Alternative zu traditionellen Materialien wie Baumwolle machen. Im Kontext der Nachhaltigkeit und Effizienz übertrifft Lyocell viele andere Fasern in mehrfacher Hinsicht.

Bürokratie ist das größte Hemmnis. Ein Ministerium für den Kampf gegen Bürokratie könnte helfen, die Wirtschaft zu entlasten.
Prof. Hermann Simon

„Ein Baumwollhemd benötigt etwa 2500 Liter Wasser für die Produktion, während ein Lyocell-Hemd nur etwa 180 Liter Wasser benötigt. Dies stellt eine erhebliche Reduktion des Wasserverbrauchs dar, was besonders in Regionen mit Wasserknappheit von großer Bedeutung ist“, sagt Simon. Ein Baumwollhemd benötige etwa 6 Quadratmeter Anbaufläche, ein Lyocell-Hemd nur 0,6 Quadratmeter. „Der Baumwollanbau verbraucht einen erheblichen Anteil der weltweit eingesetzten Pestizide und Insektizide, was zu Umweltverschmutzung und Gesundheitsrisiken führen kann. Lyocell hingegen benötigt keine solchen Chemikalien, was es zu einer weitaus umweltfreundlicheren Option macht“, weiß Simon.

Medien sollten mehr über Erfolge berichten

Mittelständische Unternehmen seien bei solchen Technologien besonders stark.„Es wird aber zu wenig über solche Innovationen in den Medien berichtet. Viele Technologien sind komplex und schwer zu verstehen. Ein Beispiel ist die Firma, die Maschinen für die Spitzen von Kugelschreibern herstellt. Solche Geschichten sind interessant, aber oft schwer zu vermitteln“, so Simon.

Deutschland ist gut durch die Pandemie gekommen, aber in der postpandemischen Phase haben wir uns abgekoppelt und laufen anderen Nationen hinterher. „Energiepreise und Umweltprobleme sind große Herausforderungen. Wir müssen alte Industrien abbauen und Platz für neue schaffen. Dieser Wandel dauert Jahre und erfordert Geduld“, mahnt Simon. Die positive Rolle des Staates für die Wirtschaft werde dabei überschätzt. „Bürokratie ist das größte Hemmnis. Ein Ministerium für den Kampf gegen Bürokratie könnte helfen, die Wirtschaft zu entlasten. Der Normenkontrollrat hat bisher wenig erreicht. Ein stärkeres Gremium mit politischer Macht könnte mehr erreichen“, resümiert Simon. Der Bundeskanzler sollte das zur Chefsache machen.