Business Transformation Innovation

Bürokratie-Hacker und kompetente Verwaltungsbeamte als Voraussetzung für Innovationen

Kommentar Ohne kompetente Verwaltung keine Innovationen, meint Gunnar Sohn. Und nennt die Physikalisch-Technische Reichsanstalt aus der Gründerzeit als Vorbild. Wir brauchten mehr Bürokratie-Hacker nach historischem Vorbild.

Foto: AdobeStock
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Ohne Bürokratie keine Quantenmechanik

Wie sähe eine Welt ohne Quantenmechanik aus? Es gäbe keine Computer, keine iPads, keine Mobiltelefone und schon gar keine Satelliten. Die Entstehung und Entwicklung der Quantenmechanik erforderte Wissenschaftler, Unternehmer und Innovatoren (m/w/d), aber sie erforderte auch Bürokraten und Bürokratien. Dahinter stand ein Geflecht öffentlicher und privater Kapazitäten sowie Fähigkeiten, die in der Lage waren, Visionen zu entwickeln, zu planen, zu wiederholen und umzusetzen.

Rainer Kattel, Wolfgang Drechsler und Erkki Karo bezeichnen das in ihrem Buch „How to Make an Entrepreneurial State“ trefflich als Innovationsbürokratien. Also Organisationen des öffentlichen Sektors. Als Beispiel kommt wieder Preußen ins Spiel. Genauer gesagt die Physikalisch-Technische Reichsanstalt (PTR), die 1887 in Charlottenburg gegründet wurde. Die PTR spielte nicht nur für die Pionierarbeit von Max Planck und anderen auf dem Gebiet der Quantenphysik eine wichtige Rolle, sondern war ein entscheidendes Rädchen im Aufstieg der deutschen Industrie, insbesondere in der Elektroindustrie, und trug zur Entwicklung von Technologien und Global Players bei, die noch heute existieren, wie Siemens und AEG.

Wir brauchen Innovationsbürokratien

Es dauerte mehr als fünfzehn Jahre, bis die PTR gegründet wurde, doch ihr Erfolg war phänomenal. In den frühen 1900er Jahren trug sie zur Verleihung zweier Nobelpreise bei (Wilhelm Wien 1911 und Max Planck 1918). David Cahan zufolge „stieg die Zahl der Fabriken in Deutschland zwischen 1875 und 1907 von 88 auf über 1.000 und die Zahl der Beschäftigten von knapp 1.300 auf über 91.000. Die PTR war eine der wichtigsten Triebkräfte für die Verlagerung der weltweiten Technologie- und Innovationsführerschaft vom Vereinigten Königreich nach Deutschland.

"Bürokratie-Hacker" kommen in der Regel von außen, finden sich in der bestehenden Bürokratie und den politischen Netzwerken gut zurecht, verfügen über genügend Einfluss, um Veränderungen voranzutreiben, und öffnen Türen für neue Ideen und neue Wege.

Die Gründung der PTR bietet ein idealtypisches Beispiel dafür, wie erfolgreiche Innovationsbürokratien gegründet werden und wie sie sich entwickeln. Die PTR wurde auf einem von Werner Siemens gestifteten Grundstück gegründet. Darüber hinaus setzte sich Siemens bei der deutschen Regierung stark für die PTR ein, übernahm die anfänglichen Baukosten und rekrutierte mit Hermann von Helmholtz, einem herausragenden deutschen Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisator, den ersten Leiter. Siemens lieferte aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als Industrieller auch den organisatorischen Aufbau sowie Leitlinien für die Entwicklung der PTR.

Seine Idee war es, eine starke oder charismatische Führungspersönlichkeit für die neue Organisation zu finden, die dann eine "wissenschaftliche Bürokratie" aufbauen sollte – eine Blaupause dafür, wie man von der agilen und suchorientierten oder Startup-Phase einer Organisation zu einer stabileren, auf die Lieferung ausgerichteten Organisation übergeht. Dieses Organisationsmodell diente anderen deutschen Organisationen als Vorbild, insbesondere der 1911 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die 1946 in Max-Planck-Gesellschaft umbenannt wurde, sowie dem 1898 gegründeten britischen National Physical Laboratory und dem 1901 gegründeten amerikanischen National Bureau of Standards. Vor allem in Deutschland wurde die Innovationsbürokratie durch das Konzept der PTR geprägt, die Spitzenforschung voranzutreiben und gleichzeitig eng mit der Industrie zusammenzuarbeiten und Dienstleistungen für sie zu erbringen.

Die Rolle, die Siemens und andere wie er spielen, ist die eines charismatischen "Bürokratie-Hackers": jemand, der in der Regel von außen kommt, der sich in der bestehenden Bürokratie und den politischen Netzwerken gut zurechtfindet, der über genügend Einfluss verfügt, um Veränderungen voranzutreiben, und der Türen für neue Ideen und neue Wege öffnen kann, Dinge zu tun.

Enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft

Das Beispiel der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt zeige, dass die Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft in Deutschland schon früh eine wichtige Rolle bei der Förderung von Innovationen gespielt hat, sagt Wolfgang Drechsler. „Es war keine hierarchische Entscheidung des Staates, sondern es gab eine enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft“, erläutert Drechsler im Podcast der Agentur für Sprunginnovationen. Er betont, dass die Kompetenz der Verwaltungsmitarbeiter entscheidend war. Sie hatten das Fachwissen und konnten langfristig planen sowie schnell auf Veränderungen und Krisen reagieren.

Einer der fähigsten Verwaltungsmitarbeiter war Heinrich von Stephan. Er wurde 1870 von Bismarck zum Generalpostmeister der Norddeutschen Bundespostverwaltung und nach der Reichsgründung zum Reichspostmeister ernannt. Er erfand die Postkarte, gründete die Reichsdruckerei, das Postmuseum (heute: Museum für Kommunikation) sowie den Allgemeinen Postverein (1878 Weltpostverein) und forcierte erst in Deutschland, dann in der ganzen Welt den Aufbau der modernen Telegraphie. Stephan erkannte als einer der Ersten die politische und wirtschaftliche Relevanz des Telefons als Medium der Echtzeit-Kommunikation. 

Das erste Telefonverzeichnis ist in der Öffentlichkeit noch als „Buch der Narren“ verspottet worden. Sieben Jahre später gab es in Berlin mehr Telefonanschlüsse als in jeder Stadt in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Siegeszug ohnegleichen. In diesem Sog entfalteten sich viele Unternehmen, die Berlin zum Silicon Valley der Telekommunikation machten.

Risikokapital erforderlich

Im Kontext von Energie, Innovation, Sicherheits- und Außenpolitik verweist Christian Growitsch, Leiter des Fraunhofer Zentrums für Internationales Management und Wissensökonomie in Leipzig, darauf, dass Länder wie die USA, Großbritannien und Frankreich diese Poltikfelder immer eng miteinander verknüpft haben. In Deutschland ist man leider nicht mehr auf diesem Level wie noch Ende des 19. Jahrhunderts.

Deutschland braucht eine Kulturveränderung in der Forschungsförderung.

Christian Hummert, Forschungsdirektor der Cyberagentur bringt eine weitere Perspektive ein: Wie können zusätzliche Verteidigungsausgaben nicht nur die Verteidigungsfähigkeit erhöhen, sondern auch positive Impulse für Innovation und Wachstum bieten? Das Beispiel der USA wird dabei als potentielles Vorbild gesehen. Dabei geht es nicht nur um Finanzmittel, die für die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) von der US-Regierung zur Verfügung gestellt werden. Die entscheidenden Aspekte sind die Regeln und Vorschriften, insbesondere im Bereich der öffentlichen Finanzierung und der Projektvergabe. Die berühmten "DARPA Challenges" könnten Deutschland erheblich vorantreiben, aber Deutschland ist durch strenges Vergaberecht eingeschränkt.

Hummert betont, dass für innovative Projekte in Deutschland Risikokapital erforderlich ist, das sich jedoch mit dem aktuellen Haushaltsrecht nicht leicht vereinbaren lässt. Erfolg und Scheitern sind beide Teil des Innovationsprozesses und das aktuelle System erlaubt es nicht, dass Projekte scheitern, was jedoch für bahnbrechende Innovationen unerlässlich ist.

Vermitteln zwischen Technologieentwicklern und politischen Entscheidern

Deutschland braucht eine Kulturveränderung in der Forschungsförderung. Es ist nicht unbedingt notwendig, DARPA exakt zu kopieren, aber es könnte sinnvoll sein, einige ihrer effektiven Elemente zu übernehmen. Insgesamt wird deutlich, dass eine Neuausrichtung in der Art und Weise, wie Deutschland Innovationen fördert und finanziert, notwendig ist, um auf dem globalen Technologiemarkt wettbewerbsfähig zu bleiben. Mit dem sogenannten Sprind-Freiheitsgesetz will die Bundesregierung die Förderinstrumente ein wenig aus den Restriktionen des Haushalts- und Vergaberechtes befreien.

Technologie und Innovation können nicht nur Schlüssel zur Verteidigung, sondern auch zur wirtschaftlichen Prosperität und zur Bewältigung globaler Herausforderungen sein. „Unsere Aufgabe ist es, zwischen Technologieentwicklern und politischen Entscheidungsträgern zu vermitteln und sicherzustellen, dass die Einführung neuer Technologien nicht nur aus technischer Sicht, sondern auch aus gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist“, resümiert Growitsch. Und das muss schneller gehen.