Selbstorganisation Aufbrecher

„Wir wollen ein Netzwerk zum Wohle der Kunden sein“

Interview Vom Unternehmen, das klar auf den Gründer ausgerichtet war, zur Netzwerkorganisation, in der alle Verantwortung übernehmen: Auf diesen Weg hat sich die Marantec Company Group gemacht. Kerstin Hochmüller, Member of the Executive Board, erklärt, was dahintersteckt. Und wie sich die Reise gestaltet.

„Ich halte unseren Weg für richtig: Klein beginnen und mit dem eigenen Handeln die anderen überzeugen“, sagt Kerstin Hochmüller.
„Ich halte unseren Weg für richtig: Klein beginnen und mit dem eigenen Handeln die anderen überzeugen“, sagt Kerstin Hochmüller.

Frau Hochmüller, Sie haben sich bei Marantec auf den Weg gemacht, Strukturen zu verändern, die Zusammenarbeit der Menschen auf neue Füße zu stellen, mit einem Wort: das Unternehmen zu transformieren? Was war der Anlass dafür?

Die Marantec Company Group ist ein mittelständisches Familienunternehmen aus Ostwestfalen. Wir produzieren seit 1957 Antriebssysteme für Tore aller Art – von Garagentoren bis Industrietoren. Unsere Gruppe besteht aus mittlerweile 16 Unternehmen, wir sind auch dank Zukäufen stark gewachsen. In der Vergangenheit haben die Einzelunternehmen weitgehend autark agiert. 2013 haben wir begonnen, das alles zusammenzubringen. Mit dem Ziel, Synergien zu nutzen und nicht zuletzt auch, um eine einheitliche Unternehmenskultur zu entwickeln. Das war der Startschuss für unsere Transformation.

Sie bauen die Organisation um, auf die Details kommen wir gleich. Aber vorweg die Frage: Welches Idealbild leitet Sie? Wo wollen Sie hin?

Wir verstehen uns als Netzwerk, innerhalb dessen Rahmen sollen sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frei bewegen und gemeinsam am Erfolg des Unternehmens arbeiten, über formale Team- oder Abteilungsgrenzen hinweg. Uns ist es wichtig, dass mehr Menschen mehr Verantwortung übernehmen und ihr Wissen und ihr Können engagiert einbringen. Unser oberstes Ziel ist es, Exzellenz zum Kunden zu schaffen. Indem wir permanent nach Lösungen suchen, die Probleme und Anforderungen der Kunden besser lösen als zuvor. Dafür arbeiten wir auch mit Partnern zusammen, auf Augenhöhe und in gegenseitigem Vertrauen. Kurz gesagt: Wir wollen eine agile Netzwerkorganisation zum Wohle der Kunden sein.

Uns ist es wichtig, dass mehr Menschen mehr Verantwortung übernehmen und ihr Wissen und ihr Können engagiert einbringen.

Wie sah die Welt bei Marantec denn aus, bevor Sie sich auf die Reise begeben haben?

Wir sind ein ostwestfälisches Familienunternehmen, stark geprägt vom Gründer. Wir hatten schon immer flache Hierarchien, aber wir waren sehr orientiert am Unternehmenschef. Er hat mit seinen Ideen die Richtung vorgegeben, der alle Mitarbeiter gefolgt sind. Das war nicht falsch, aber hatte zur Folge, dass die Menschen bei uns Verantwortung abgegeben haben. Wenn ein Mensch die Richtung vorgibt, bleibt wenig Platz für eigene Wege.

Menschen bleiben gerne bei gewohnten Routinen, wenn diese erfolgreich sind. Und wir waren ja erfolgreich. In dieser Situation einfach zu erklären „Wir müssen alles anders machen“ motiviert nicht, sondern führt eher zu Ablehnung. Verständlicherweise.
Kerstin Hochmüller, Marantec Company Group

Wir sind jahrelang sehr erfolgreich gewesen damit. Unser Gründer ist technikbegeistert, ein Ingenieur, deswegen haben wir hervorragende Produkte. Aber tolle Produkte allein reichen heute nicht mehr, wo es darum geht, so nah wie möglich an den Kunden zu sein, um deren spezifische Herausforderungen und Anforderungen zu verstehen. Und vielleicht sogar Anforderungen zu erkennen, noch bevor sie selbst davon wissen. Das geht mit den bisherigen Denk- und Arbeitsweisen nicht.

Vom patriarchalischen Unternehmen zur Netzwerkorganisation ist es ein weiter Weg. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Wir sind mit ganz klassischen Change Management-Maßnahmen gestartet. Allerdings haben wir schnell gemerkt, dass wir damit nicht weit kommen. Das zieht heute schlicht nicht mehr, wenn da jemand von oben kommt und erklärt, was sich alles ändern muss und dass jetzt bitteschön alle nach rechts gehen statt wie bisher nach links. Da helfen alle Problembeschreibungen und Präsentationen in Mitarbeiterversammlungen nicht. Weil das die Mitarbeiter nicht mitnimmt. Menschen bleiben gerne bei gewohnten Routinen, wenn diese erfolgreich sind. Und wir waren ja erfolgreich. In dieser Situation einfach zu erklären „Wir müssen alles anders machen“ motiviert nicht, sondern führt eher zu Ablehnung. Verständlicherweise.

Dennoch sind Sie mitten in der Transformation. Was haben Sie anders gemacht?

Es geht darum, ein Bild zu zeichnen von dem Neuen. Das Idealbild der Netzwerkorganisation, das ich anfangs genannt habe. Mit diesem Zielbild stellen wir vieles von dem, was bisher galt – und funktioniert hat – in Frage. Hier ist es ganz wichtig, den Menschen ganz klar zu machen: Ihr habt bisher nichts falsch gemacht. Ihr habt gute Arbeit geleistet und richtig gehandelt. Das Hinterfragen des Status quo darf keine Abrechnung mit der Vergangenheit sein, sondern muss ein Anstoß in die Zukunft hinein sein. Im Kern geht es darum zu sagen: „Wir haben alle Chancen dieser Welt, uns weiter gut zu entwickeln. Weil wir eine starke Grundlage haben, die uns trägt. Aber weil die Welt sich dreht, müssen auch wir uns bewegen und etwas Neues wagen.“ Und diese Lust auf das Neue zu wecken.

Das zieht heute schlicht nicht mehr, wenn da jemand von oben kommt und erklärt, was sich alles ändern muss und dass jetzt bitteschön alle nach rechts gehen statt wie bisher nach links.

Das gelingt nicht bei allen Mitarbeitern gleichzeitig. Deshalb haben wir nach Menschen gesucht, die Lust auf die Veränderung hatten und gesagt haben, sie wären gern dabei. Und die haben dann begonnen, gemeinsam mit uns Dinge umzusetzen, Stück für Stück. Als Vorreiter und Vorbilder quasi. Nach und nach weckt das das Interesse bei anderen, die auch mitmachen möchten. Und irgendwann erreicht man eine kritische Masse, die dann auch die anderen mitreißt. An diesem Punkt sind wir noch nicht ganz, aber unser Weg ist glaubwürdig und wirkt.

Gibt es Erfolgsfaktoren, die das Ganze positiv beeinflussen?

Das Wichtigste ist eine wirklich offene Kommunikation. Immer wieder sagen, was wir tun und warum wir es tun und auch kritische Stimmen zu Wort kommen lassen. Das Ganze ist auch ein Gespräch, offen für alle. Die Mitarbeiter können und sollen sich mit ihren Ideen und ihren unterschiedlichen Perspektiven einbringen. Wir haben auch gelernt, dass Kooperationen mit anderen eine enorme Wirkung entfalten, gerade mit Start-ups. Dort ist es üblich, sich und das eigene Tun permanent zu hinterfragen. Und sich schnell einzugestehen, dass der eine Weg nicht funktioniert, um einen neuen zu versuchen. Wir arbeiten eng mit Start-ups zusammen und mit einer Hochschule. Und nach und nach schaffen wir es auch, uns mit etablierten Mittelständlern auszutauschen. Bei vielen ist die Skepsis bezüglich unseres Wegs aber noch groß. Sie sehen die Notwendigkeit zur radikalen Veränderung oder Weiterentwicklung nicht im selben Maße.

Das Wichtigste ist eine wirklich offene Kommunikation. Immer wieder sagen, was wir tun und warum wir es tun und auch kritische Stimmen zu Wort kommen lassen. Das Ganze ist auch ein Gespräch, offen für alle.

Was hat sich denn konkret verändert bislang?

Wir haben zahlreiche digitale Tools zur Zusammenarbeit eingeführt, schon vor Corona. Und diese Tools ändern per se schon die Art, wie Menschen miteinander arbeiten. Weil sie die Transparenz erhöhen. Sie fördern den Wissensaustausch und eliminieren Wissen als Herrschaftsinstrument. Wenn alle die Zahlen kennen, wenn alle wissen, an welchen Projekten gearbeitet wird, dann schleift das in gewisser Weise Hierarchien ab. Unsere Mitarbeiter können sich jetzt auf Projekte bewerben, die sie im Intranet sehen und viel leichter als in der Vergangenheit innerhalb des Unternehmens die Aufgaben wechseln. Und lernen in den neuen Projekten unheimlich viel dazu: neue Formen der Zusammenarbeit, aber auch fachlich. Und entdecken ganz neue Leidenschaften und Fähigkeiten in sich. Das motiviert immens. Und führt dazu, dass sie über ihr Tun und ihre Erfahrungen berichten und so andere neugierig machen, die das dann ebenfalls versuchen. So diffundiert der Netzwerkgedanke nach und nach durch das gesamte Unternehmen. Eine ganz konkrete Neuerung ist unser Tool zur Kostenoptimierung. Hier kann jeder Mitarbeiter eine Idee einbringen: Abteilungsleiter, Mitarbeiter aus der Administration und Produktion. Und wir als Führungsteam müssen innerhalb von einer Woche auf diese Ideen reagieren. Da fällt nichts mehr unter den Tisch, und es ist für alle einsehbar, wer eine Idee eingebracht hat und wie sich das weiterhin entwickelt.

Unternehmer müssen heute wieder Pioniere sein, vorangehen, sich ins unbekannte Neue wagen. Das kann ein Unternehmer mit einer klaren Vision am besten und glaubwürdigsten treiben.

Sie haben erzählt, wie stark der Gründer das Unternehmen geprägt und geformt hat. Mit dem beschriebenen Prozess verliert er viel Einfluss. Wie steht er denn zu dem Ganzen?

Die ganze Transformation der Marantec Company Group war seine Entscheidung und die der Gesellschafter. Sie haben den Anstoß dazu gegeben. In meinen Augen ist das der entscheidende Erfolgsfaktor. Wir stehen mitten in großen wirtschaftlichen und auch gesellschaftlichen Umbrüchen. Unternehmer müssen heute wieder Pioniere sein, vorangehen, sich ins unbekannte Neue wagen. Das kann ein Unternehmer mit einer klaren Vision am besten und glaubwürdigsten treiben. Ein Umbau des Unternehmens kann nicht „von unten“ kommen. Er kann aber nur gelingen, wenn der Anstoß der Unternehmensleitung bei den Mitarbeitern anschlussfähig ist, wenn die Menschen für sich erkennen, dass es sich lohnt, das Gewohnte zu verlassen. Deshalb ist der Weg, den wir gewählt haben, in meinen Augen der Richtige: Klein beginnen und mit dem eigenen Handeln die anderen überzeugen.