Business Transformation Innovation

"Wir können Zukunft!"

Interview "Wir haben in Deutschland so viele Pfunde, mit denen wir wuchern können. Nur reden wir die gerade schlecht und klein." Das sagt Vera Schneevoigt. Sie hat ein Buch geschrieben, mit dem sie der verbreiteten Depression entgegentreten möchte. In "Wir können Zukunft" will sie Impulse geben für einen positiven Wandel in Vielfalt. Ein Gespräch über Optimismus und Veränderung.

Foto: ©Ulrike Frömel
Foto: ©Ulrike Frömel

Wir können gestalten

Frau Schneevoigt, Ihr Buch heißt „Wir können Zukunft“. Im Moment hat man den Eindruck, wir können eher jammern. Woher kommt ihr Optimismus?

Mein Optimismus ist mir angeboren, für mich ist das Glas mein leben lang immer halb voll. Ich denke aber auch, dass es normal ist, dass wir hier in Deutschland gerade ein wenig straucheln. Wir erleben im Moment ja auch auch eine Menge Veränderungen auf ein Mal. Krieg in der Ukraine, Krieg im Nahen Osten, die Erderwärmung und Klimaveränderungen, mit all den Folgen für unser Leben und der Aufgabe, diese ganzen Herausforderungen irgendwie zu lösen. Das ist kein gutes Umfeld, um zu sagen „Juhu, alles wird super“. Aber wenn wir uns umblicken und wenn wir zurückblicken, dann erkennen wir, dass wir die Aufgaben lösen können. Mein Großvater, Jahrgang 1900, hat mir als Kind und Jugendliche immer erzählt, was er alles erlebt hat und welche Veränderungen er meistern musste – zwei Weltkriege, Inflation, Wirtschaftskrise, die Nazis, dazu die ganzen technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen. Er hat das alles überstanden, viele andere auch. Und daraus ziehe ich meine Zuversicht, dass auch wir es heute schaffen.

Vera Schneevoigt, Wir können Zukunft.
Vera Schneevoigt, Wir können Zukunft. Erscheint am 10. September bei Haufe. 

Wir sind ja nicht die ersten, in deren Lebensspanne sich die Welt ändert …

In meinem Buch schreibe ich an einer Stelle sinngemäß, dass ich am Anfang meines Berufslebens alles mit der Hand gebucht habe beziehungsweise im Austausch mit Menschen, vom Urlaub bis zum Telefonanschluss. Und heute macht das die Künstliche Intelligenz. Die Veränderungen sind natürlich massiv. Aber meine Generation ist gut ausgebildet, wir haben schon einiges erlebt, und die jungen Leute sind auch gut ausgebildet. Wir haben so viele Fähigkeiten und Fertigkeiten. Wenn wir uns einmal ein wenig sammeln und uns zusammentun, sehe ich für die Zukunft nicht schwarz.

Sie haben Ihr Buch zum einen als ehemalige Topmanagerin mit den Erfahrungen, die Sie in der Wirtschaft gesammelt haben. Zum anderen bringen Sie private Erfahrungen ein. Was ist die Quintessenz all dessen?

Das Buch hat eine autobiographische Komponente. Und ich versuche, meine Erfahrungen als Managerin mit meiner Autobiographie in einen allgemeineren Zusammenhang zu stellen, weil ich Impulse für Zuversicht und Aufbruchstimmung setzen möchte, die über meine Person hinausgehen. Wenn Sie nach der Quintessenz fragen, so lautet meine Antwort: Es ist wichtig, immer neugierig zu sein, offen zu sein und zu lernen. Es gibt nicht diesen Punkt, an dem man sagen kann, jetzt reicht es, ich weiß genug, die technologischen und sonstigen Entwicklungen interessieren mich nicht mehr oder gehen mich nichts an.

Wir haben so viele Fähigkeiten und Fertigkeiten. Wenn wir uns einmal ein wenig sammeln und uns zusammentun, sehe ich für die Zukunft nicht schwarz.

Davon bin ich schon immer zutiefst überzeugt – und das ist keine Frage des Alters. Und auch keine der Hierarchie. Es gibt immer Möglichkeiten teilzuhaben, und es ist heute so leicht wie nie zuvor zu lernen. Das ist mir ganz wichtig: Dass wir generationenübergreifend lernen, denn dann können wir viel bewegen.

Jede Generation war einmal jung, jede Generation war einmal mittelalt und jede Generation wird alt. Es bringt überhaupt nichts, wenn diese Generationen gegeneinander arbeiten und sich aneinander abarbeiten. Es geht nur miteinander, das gilt auch für die Demokratie, die davon lebt, dass sich alle, so gut es geht, engagieren. Wir haben in Deutschland so viele Pfunde, mit denen wir wuchern können. Nur reden wir die gerade schlecht und klein.

Mehr Verständnis für die jeweils anderen

Mehr Miteinander fordern viele. Wie kommen wir aber raus aus dem Gegeneinander?

Über Kommunikation. Wir alle haben heute so viele Möglichkeiten, uns auszudrücken. Die sollten wir nutzen. Aber oft herrscht Sprachlosigkeit. Oder die Unlust, miteinander zu sprechen. Dann treten in den Unternehmen angeblich die GenZ gegen die Boomer an und die Boomer gegen die GenZ und alle werfen sich gegenseitig vor, Entscheidendes falsch zu machen. Dabei wäre allen geholfen und so viel möglich, wenn die jungen Leute, die neu ins Berufsleben starten, von den Erfahrungen der Älteren profitieren könnten. Und die Älteren von den Fertigkeiten und dem Welterleben der Jüngeren.

Jede Generation war einmal jung, jede Generation war einmal mittelalt und jede Generation wird alt. Es bringt überhaupt nichts, wenn diese Generationen gegeneinander arbeiten und sich aneinander abarbeiten. Es geht nur miteinander.

Als weiteres Thema habe ich beim Lesen Ihres Buches Führung wahrgenommen. Wie wichtig ist Führung für ein erfolgreiches Miteinander?

Zunächst: Mich erschreckt, dass wir fast jeden Tag in einer Zeitung lesen, die junge Generation wolle nicht mehr führen oder Verantwortung übernehmen. Auch nervt mich die ständige Behauptung, Frauen täten sich schwer mit Führung. Das ist schlicht falsch. Genauso übrigens wie das andere Dauerthema der Verteufelung von Führung. Aus meinem eigenen jahrzehntelangen Erleben weiß ich: Führung ist nichts Schlechtes. Im Gegenteil. Führung bedeutet sehr große Verantwortung und hat immer etwas mit Menschen zu tun.

Führung ist nichts Schlechtes. Im Gegenteil. Führung bedeutet sehr große Verantwortung und hat immer etwas mit Menschen zu tun.

Deshalb spreche ich in dem Buch von menschenzentrierter Führung, von Führung, die Menschen in den Mittelpunkt stellt, nicht Prozesse oder anderes. Wir leben in einer Zeit der vielfältigen Transformation, und viele junge Leute haben ein anderes Verständnis von oder Erwartungen an Führung als frühere Generationen. Deshalb halte ich es für wichtig, dass wir intensiv über Führung sprechen. Und zwar generationenübergreifend. Ohne Angriffe und Vorwürfe, sondern offen und ehrlich. Denn ohne Führung geht es nicht. Die Idee, dass alle Menschen im Unternehmen gleichberechtigt an allem beteiligt werden, klingt vielleicht gut, ist aber irreführend. Es braucht Menschen, die Entscheidungen treffen und dafür Verantwortung übernehmen. Die führen. Aber darüber, wie Führung aussehen sollte, damit sie von allen akzeptiert ist und erfolgreich, können und sollen wir diskutieren.

Sie haben die Kommunikation zwischen den Generationen schon angesprochen. Ein aktueller Streitpunkt ist der vermeintliche Unwille der Jungen zur Leistung. Fest gemacht wird das in der Regel auch am Wunsch vieler Menschen nach einer reduzierten Arbeitszeit. Sie engagieren sich als Mentorin gerade für jüngere Menschen. Wie blicken Sie auf diese Frage?

Arbeitszeit ist ein ganz interessantes Thema, das sich gut zum Diskutieren und Streiten eignet. Ich beschäftige mich schon lange mit der Frage nach der Arbeitszeit. Als Managerin war ich immer auf Seiten der Arbeitgeber und habe viele Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretern und Gewerkschaften geführt. Anfangs galt die 40 Stunden-Woche, dann hat die IG Metall vor vielen Jahren die 35 Stunden-Woche tariflich durchgesetzt. Als vor kurzem die Lokführergewerkschaft für die 35 Stunden gestreikt hat, haben mich immer wieder Menschen gefragt, wie ich dazu stehe. Ich finde diese Forderung der Gewerkschaft legitim. Mir geht die Selbstgefälligkeit vieler aus meiner Generation gegen den Strich, die immer wieder öffentlich erklären, für sie sei es selbstverständlich gewesen, 50 oder 60 Wochenstunden zu arbeiten und die Menschen heute sollten sich einmal ein bisschen mehr anstrengen.

Wir können Zukunft

Die ehemalige Top-Managerin, Mentorin, Digitalisierungs- und Innovationsexpertin Vera Schneevoigt ist fest überzeugt, dass wir die Zukunft gestalten können. Wenn wir zusammenarbeiten und uns daran erinnern, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten wir alle haben – Junge und Ältere, Migrantinnen und "Bio-Deutsche, Geflüchtete und Alteingesessene. In ihrem Buch "Wir können Zukunft" gibt sie Impulse dafür, wie wir es schaffen, das Jammern zu beenden und die Aufgaben zu lösen, vor denen wir stehen. Gemeinsam. 

Das Buch erscheint am 10. September bei Haufe. Es ist ab sofort vorbestellbar.

Zum Buch "Wir können Zukunft"

Zunächst ist die Wochenarbeitszeit eine rein quantitative Kennzahl, die über die Qualität der Arbeit beziehungsweise der erbrachten Leistung nichts aussagt. Darüber hinaus haben alle, die so viele Stunden gearbeitet haben, dafür einen Preis bezahlt. Und nicht nur sie, sondern auch deren Familien und Freunde. Ich habe auch mehr als 35 Wochenstunden gearbeitet, allein schon, weil das in Teams, die in unterschiedlichen Zeitzonen arbeiten, oft nicht anders ging. Ich verstehe aber, dass diejenigen, die ihre Großeltern und Eltern dabei beobachtet haben, wie sie ganz viel Lebenszeit ins Arbeiten gesteckt haben, heute sagen, dass sie das nicht erstrebenswert finden. Weil ihnen anderes eben auch wichtig ist.

Außerdem hat sich die Vorstellung davon, was Arbeit eigentlich ist, gewandelt. Vor 20 oder 30 Jahren hat die sogenannte Care-Arbeit zum Beispiel keine Rolle gesppielt – Kindererziehung, Haushalt, Pflege von Angehörigen. Das ist heute anders. Deshalb finde ich es enorm wichtig, dass wir uns darüber verständigen, was „Arbeit“ eigentlich bedeutet. In meinen Augen ist das ein perfektes Thema für diesen generationenübergreifenden Dialog. Dazu gehört aber, dass alle beteiligten sich zurücknehmen können, dass sie zuhören und nicht immer zeigen, dass sie es viel besser wüssten als die jeweils anderen. Weder weiß ich alles besser, weil ich schon älter bin, noch die junge Frau, weil sie eben erst Anfang 20 ist.

Mir geht die Selbstgefälligkeit vieler aus meiner Generation gegen den Strich, die immer wieder öffentlich erklären, für sie sei es selbstverständlich gewesen, 50 oder 60 Wochenstunden zu arbeiten und die Menschen heute sollten sich einmal ein bisschen mehr anstrengen.

Wenn wir die Herausforderungen, über die wir anfangs gesprochen haben, erfolgreich gestalten wollen, gibt es unendlich viele Möglichkeiten, etwas voranzubringen. Erwerbsarbeit ist nur eine dieser Möglichkeiten. Darüber zu sprechen, welche wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung sie hat, wie sie gestaltet werden kann und sollte, damit Menschen auch die vielen anderen Möglichkeiten wahrnehmen können, halte ich für sehr relevant.

Das führt direkt zu einem Schlagwort, das in Ihrem Buch ebenfalls breiten Raum einnimmt, das Ehrenamt. Was können wir für das Leben und das Business vom Ehrenamt lernen?

Zum einen ist es ein gutes Gefühl zu erleben, dass man sein Wissen und seine Fähigkeiten für andere einsetzen kann. Mich selbst haben in den letzten Jahren vor allem zwei Themen bewegt: das Thema Asyl und die Flutkatastrophe im Ahrtal.

Mein Mann und ich haben 2015 begonnen, uns um zwei Kinder aus Syrien zu kümmern, wir haben sie als Pflegekinder aufgenommen. Wir haben gesehen, wie wenig wir geben müssen, um Menschen, die unser System nicht kennen, dabei zu unterstützen, das Leben hier in Deutschland zu verstehen, sich zu orientieren und ihren Weg zu finden. Wenn jeder oder nur jeder zweite in Deutschland das tun würde, hätten wir viel geschafft und die Probleme wären längst nicht so groß, wie sie vielen im Moment erscheinen. Das würde uns in Deutschland ganz nebenbei auch dabei helfen, das Arbeitskräfte- und Fachkräfteproblem zu lösen, das schon heute und erst recht in Zukunft unsere Wirtschaftskraft bedroht. Wir haben Zuwanderung, wir brauchen Zuwanderung, also sollten wir sie alle aktiv gestalten.

Das wahrscheinlich krasseste Erlebnis meines Lebens war die Flutkatastrophe im Ahrtal, in meiner Heimat. Zu sehen, wie in wenigen Minuten Lebensleistungen und leider auch Leben hundertfach vernichtet wird – das hat mich nachdrücklich beeinflusst. Ich kannte das bislang höchstens aus den Fernsehnachrichten. Das relativiert viele der kleinen Streitigkeiten, die so viel Raum einnehmen. Gleichzeitig war es immens wertvoll zu sehen, wie schnell die Menschen sich gegenseitig unterstützt haben, wie viele kleine und große Initiativen entstanden sind, die finanziell und ganz praktisch den notleidenden Menschen zur Hilfe gekommen sind. Mir hat das gezeigt, was wir alles können, wenn wir wollen.