Organisationsentwicklung Business Strategie

Betriebswirtschaftliches Denken schwächt unsere Unternehmen

Eine neue Führung, die Firmen für den Innovationswettbewerb fit machen will, muss sich vom trivialen Kosten-Nutzen-Denken verabschieden.

Für einen klaren Blick brauchen Führungskräfte nicht nur gute Kenntnisse in BWL.
Für einen klaren Blick brauchen Führungskräfte nicht nur gute Kenntnisse in BWL.

Unternehmen müssen mehr einnehmen als ausgeben. Das ist so. Und dieser simplen Wahrheit verdankt die sogenannte Betriebswirtschaft, dass sie über Jahrzehnte das Denken und Handeln in unseren Unternehmen bestimmen konnte. Kosten runter, Umsatz rauf und die Prozesse so schlank wie möglich: Das lehren die einschlägigen Bücher, das predigen die in den Modellen geschulten Berater und Manager. Es ist das Fundament, auf dem selbst Organisationsruinen noch halbwegs solide stehen.

Besichtigen können wir solche Ruinen allenthalben: Verkehrsbetriebe, die Infrastruktur kaputtsparen und das autonome Fahren, ja die Digitalisierung als solche verschlafen. Computerhersteller, die Prozesse perfektionieren, aber nicht merken, dass der Wettbewerb das mittlerweile auch beherrscht. Versicherer, die im Preiskampf punkten, aber den Kunden im Kleingedruckten abschaffen.  Autohersteller, die Hochleistungsmaschinen bauen, aber keine Ideen zu nachhaltiger Mobilität generieren. Banken, die Verluste vergesellschaften und keine Antworten finden auf die FinTecs dieser Welt.

Woran betriebswirtschaftlich geführte Betriebe kranken

Ihnen allen gemein sind folgende Probleme: Sie

  • fokussieren – gerade in Krisen – auf Prozessoptimierung und Kosten
  • perfektionieren Kontrollen von Mitarbeiterverhalten und Abläufen
  • glorifizieren die Leistung oder verdammen die Fehler von Einzelnen
  • leiden unter einer Misstrauenskultur, die betriebswirtschaftlich geführten Kontrollorganisationen quasi von Natur aus innewohnen
  • lernen nicht, weil das Lernen einer ganzen Organisation nicht in ihren auf Effizienz getrimmten Strukturen und Prozesse abgebildet werden kann
  • flüchten sich jenseits des Organigramms in Schattenorganisationen, um überhaupt noch Wertschöpfung aufrechterhalten zu können

Wer zukunftsfeste Unternehmen errichten möchte, darf nicht mehr wie die BWL in Einzelteilen, sondern muss in Systemen denken lernen.

Was also ist wichtiger zu verstehen als das, was einen die Betriebswirtschaft lehrt? Und wer könnte es einem beibringen? Für mich steht fest: Wer zukunftsfeste Unternehmen errichten möchte, darf nicht mehr wie die BWL in Einzelteilen, sondern muss in Systemen denken lernen. Und sie oder er muss daraus Verständnis für menschliches Verhalten entwickeln. Das lernt man in der Systemtheorie, der Psychologie und Soziologie, sicher aber nicht in der Betriebswirtschaftslehre. Denn die ist für menschliche Interaktionsmuster blind.

Was zukunftsfeste Unternehmen benötigen

Um die BWL mit ihren mechanistischen und damit inhumanen Grundüberzeugungen zu überwinden, braucht es einen grundsätzlich anderen Blick auf Unternehmen und das was sie ausmacht.

Jedes Unternehmen wurde einmal mit dem Ziel gegründet, anderen Menschen ein Problem zu lösen. Die gängigen Kontroll- und Steuerungsüberzeugungen sorgen im Wachstum dann aber dafür, dass dieses gemeinsame Ziel aus dem Blick gerät. Es bilden sich Silos, jeder schielt auf den eigenen Vorteil, die eigene Karriere, und das System kreist am Ende nur noch um sich selbst.

Alle machen nach den Regeln der BWL-Kunst alles richtig, aber das große Ganze verreckt an sich selbst.

Dabei geht es besser! Starke Unternehmen, die auch in schnelllebigen Zeiten und in komplexen Märkten bestehen, können sich schnell an neue Herausforderungen anpassen, realisieren brachliegende Chancen und aktivieren die Potenziale ihrer Menschen und die ihrer Organisation. Sie können sich permanent erneuern – was in sämtlichen natürlichen Ökosystemen übrigens die Regel ist.

Der Markt muss in jeden Winkel des Unternehmens vordringen.

Dazu braucht es vor allem eines: Der Markt muss in jeden Winkel des Unternehmens vordringen, damit die selbstreferentiellen Kostenschlachten um Compliance, Controlling und Co. nicht weiter die Unternehmensbilanz belasten. Das gelingt, indem

  • Verantwortung jenen zugesprochen wird, die marktnah agieren
  • die Zentralen zum Diener der Unternehmens-Peripherie werden, wo die Kundenmusik spielt
  • Silos aufgebrochen und durch Teams aus allen Funktionen ersetzt werden, die Marktanforderungen auf dem direkten Wege bearbeiten können
  • Zusammenarbeitshindernisse wie individuelle Zielvereinbarungen oder Bonussysteme abgeschafft oder erheblich verändert werden
  • eine starke Identität den Rahmen für gemeinschaftliches Handeln abgibt
  • eine packende Vision dazu führt, dass sich ihr alle freiwillig und gern unterordnen

Was neue Managerinnen und Manager anders machen

Und was folgt daraus für jene, die als leitende Angestellte über die Zukunft des Unternehmens bestimmen? Sie müssen mit vielem von dem brechen, was ihnen Business Schools und Ökonomie-Professoren vermittelt haben. „Entlernen“ heißt das Zauberwort.

Diese neuen „Führungskräfte“ sind nur als solche legitimiert, wenn sie

  • Vision und Mission des Unternehmens glaubhafter verkörpern als andere Menschen im Unternehmen
  • warme soziale Beziehungen zu ihrer Umwelt aufbauen, Menschen Vertrauen schenken und ein Umfeld schaffen, in dem Höchstleistung unvermeidbar ist
  • systemintelligente Machtspielchen hinter sich lassen und sich mit allen anderen selbstlos auf die Suche nach den besten Lösungen machen
  • sie sich konsequent aus allem raushalten, was sie in den Augen ihrer Umwelt über andere stellt (zum Beispiel Mitarbeiter- oder Bewertungsgespräche, Beförderungen, Budgetsetzung)

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Bitte aber nicht missverstehen: Es geht mir nicht um sozialistische Gleichheit. Es geht um bedingungslose Gleichwertigkeit, eine Wertvorstellung, die der BWL gänzlich fremd ist. Denn diese sieht vor, dass einige den anderen „vorstehen“.

Über- und Unterordnung von Menschen bringt in komplexen Gemengelagen aber nichts. Hier führt allein der Markt, ihm hat sich alles andere unterzuordnen.   

Ich habe immer wieder mit Managerinnen und Managern zu tun, die das verstehen und praktizieren. Das macht mir Mut. Viel öfter allerdings treffe ich auf die BWL-Anhänger, die im Paradigma der Betriebswirtschaft verfangen sind. Ihre Zukunft ist extrem gefährdet, denn ihren Job kann künstliche Intelligenz bald besser erledigen. Und die Menschen wenden sich – zumindest innerlich – von ihnen ab.