Digitalisierung Business Strategie

„HR kann sich auf die Themen fokussieren, in denen die Wertschöpfung liegt“

Interview HR muss die eigene Digitalisierung vorantreiben – um Ressourcen freizusetzen für wertschöpfende Aufgaben wie Talent Management, Lernen und Entwicklung und strategische Personalplanung. Nur so werde HR eine strategische Rolle einnehmen können, meint Philipp Kolo von BCG.

„Zukunftsentscheidend sind alle Fragen rund um Führung“, sagt Philipp Kolo, Partner bei BCG. Foto: BCG
„Zukunftsentscheidend sind alle Fragen rund um Führung“, sagt Philipp Kolo, Partner bei BCG. Foto: BCG

Herr Kolo, mir fällt auf, dass immer öfter von People & Organisation die Rede ist und weniger von HR oder der Personalabteilung. Ist das ein Zeichen dafür, dass Führung und Entwicklung keine reinen HR-Themen mehr sind?

Ich glaube schon. Ohne unserem Gespräch zu stark vorzugreifen, ist doch erkennbar, dass sich die klassische HR-Funktion – im Deutschen die Personalfunktion –sich wandeln wird. Und zwar relativ stark. Wir sehen auch, dass viele sich umfirmieren und dann People Function heißen oder People & Culture. Das ist Ausdruck dafür, dass sich der Blick aufs Ganze weitet. Der Mensch als Person steht vielmehr im Fokus – nicht nur als pure „Ressource“ wie es ja der Begriff HR ausdrückt. Ich denke, im Zuge von Covid und den neuen Formen der Zusammenarbeit, die wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, haben viele Personalabteilungen verstanden, dass sie sich nicht nur die psychische und physische Sicherheit der Mitarbeitenden kümmern müssen, sondern auch darum, wie Arbeit in der Zukunft aussehen soll und wird. Das ist eine andere, stärker gestaltende Aufgabe als Personalverwaltung. Diese ist immer noch notwendig, kann aber sehr stark technisch gelöst werden.

Im Zuge von Covid haben viele Personalabteilungen verstanden, dass sie sich nicht nur die psychische und physische Sicherheit der Mitarbeitenden kümmern müssen, sondern auch darum, wie Arbeit in der Zukunft aussehen soll und wird.

Sie haben weltweit in einer Studie Menschen zu den drängenden Aufgaben von HR befragt. Welche Themen bestimmen denn die kommenden Jahre?

Wir schauen aus zwei Perspektiven auf diese Frage. Auf der einen Seite interessiert uns, welche Bedeutung die Menschen einzelnen Themen beimessen. Zum anderen wollen wir aber erfahren, wie es um die Fähigkeiten in der jeweiligen Abteilung bestellt ist, diese Themen auch zu gestalten. Uns interessiert das Delta zwischen Dringlichkeit und Kompetenz. Wir haben 32 Themenfelder identifiziert, die Personalabteilungen umtreiben. Das ist quasi die Landkarte, mit der alle navigieren. Aber besonders interessant ist die Frage nach den drei, vier, fünf Themen, die für ein Unternehmen, für einen bestimmten Markt erfolgsentscheidend sind.

Haben denn alle Unternehmen diese Landkarte?

Diese Landkarte zu zeichnen, ist sicherlich für eine Personalabteilung eine der wichtigsten Aufgaben. Und zukunftsentscheidende Punkte auf dieser Landkarte sind alle Fragen rund um Führung, beispielsweise: Was heißt Führung in einer Welt, die sich verändert? Was muss Führung in Zukunft leisten? Wie kann HR die Führungskräfte auf dem Weg dorthin unterstützen?

Ein weiterer Punkt ist alles, was man unter dem Begriff Employee Experience fassen kann: Auf welche Weise schaffen Unternehmen den Menschen ein Umfeld, in dem sie sich wohlfühlen und auch das alles zur Verfügung haben, was sie brauchen, um ihre Fähigkeiten bestmöglich einzusetzen und ihre beste Leistung zu bringen. Und der dritte wichtige Punkt auf der Landkarte ist die strategische Personalplanung. Welche Kompetenzen, welche Fähigkeiten und welche Mitarbeitenden brauche ich, um die digitale Transformation zu gestalten? Wie kann ich die Mitarbeitenden entwickeln und qualifizieren? Denn digitale Geschäftsmodelle haben eine technologische Komponente, entscheidend ist aber immer der menschliche Part. Unternehmen brauchen Spezialist:innen, die sie von außen holen, aber sie müssen die Breite ihrer Mitarbeitenden qualifizieren und in das neue digitale Zeitalter mitnehmen. Das ist für sehr viele Unternehmen die größte Herausforderung.

Effizientere Systeme, Automatisierung, Künstliche Intelligenz sind zukunftsentscheidend für HR. Und da überrascht es doch, dass Fähigkeiten in diesen Bereichen Mangelware sind.

Die drängenden Aufgaben sind also menschzentrierte Aufgaben, während prozessorientierte administrative HR-Aufgaben in den Hintergrund rücken?

Jein. Natürlich ist es wichtig, dass HR die genannten Themen priorisiert. Aber sie sollte dabei die eigene Digitalisierung nicht aus den Augen verlieren. Schließlich ermöglicht diese ja genau einen stärkeren Fokus auf Menschen. Aber auch, dass die Personalfunktion strategischer arbeiten kann und nicht mit Administration und Akten beschäftigt ist. Effizientere Systeme, Automatisierung, Künstliche Intelligenz sind zukunftsentscheidend für HR. Und da überrascht es doch, dass Fähigkeiten in diesen Bereichen Mangelware sind laut unserer Studie. Sie fehlen eklatant in HR.

Es überrascht mich immer wieder, dass Digitalisierung nach all den Jahren, in denen Unternehmen in Digitalisierung investiert haben, immer noch als große Herausforderung genannt wird. Eigentlich müssten Unternehmen das doch mittlerweile im Griff haben. Oder ist der technologische Wandel so extrem, dass man nie an den Punkt kommt, an dem das Thema abgeschlossen ist?

Digitalisierung hat keinen Anfang und keinen Endpunkt, sondern ist ein kontinuierlicher Prozess. Dennoch könnten viele Personalabteilungen in der Entwicklung weiter sein, als sie es heute sind. Das ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich, aber wir beobachten in unserem Beratungsgeschäft, dass viele in der operativen Hektik genau den gerade beschriebenen Schritt nicht machen: Sich die Zeit zu nehmen, die Aufgaben zu analysieren und zu priorisieren. Und dann genau in die Felder zu investieren und das zu digitalisieren, was den entscheidenden Unterschied macht. Stattdessen versuchen viele, alles auf einmal zu digitalisieren und kommen deshalb nicht voran.

Wie steht es denn um die Automatisierung von administrativen Prozessen wie Gehaltsabrechnung oder Zeiterfassung?

Diese transaktionalen Prozesse, mit denen heute noch viele Menschen in HR beschäftigt sind, werden wesentlich kleiner werden und irgendwann wegfallen, weil sie vollständig automatisiert werden können. Schon heute können Mitarbeitende ihre Belege fotografieren und ins System hochladen, seien es Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Spesenbelege auf Dienstreisen. Das ist wie beim Onlinebanking. Früher mussten Menschen für jede Transaktion in die Filiale gehen, heute können sie alles digital und teilweise automatisiert erledigen. So wird die Zukunft vieler Personalprozesse aussehen.

HR kann sich in Zukunft auf die Themen fokussieren, in denen die Wertschöpfung liegt. Dazu gehört im ersten Schritt, Prozesse zu digitalisieren und effizienter und effektiver zu machen. So schaffen Unternehmen die Freiräume für HR, gestalterisch tätig zu sein.

Dann hätte HR prinzipiell mehr Ressourcen für die transformationalen Prozesse.

Genau. Und für die Menschen! HR kann sich in Zukunft auf die Themen fokussieren, in denen die Wertschöpfung liegt. Dazu gehört im ersten Schritt, Prozesse zu digitalisieren und effizienter und effektiver zu machen. So schaffen Unternehmen die Freiräume für HR, gestalterisch tätig zu sein.

Das wäre dann der Schritt hin zu HR als integralem Bestandteil des strategischen Business.

HR behauptet ja schon länger, dass sie das seien. Rund 65 Prozent der Befragten in unserer Studie sagen, HR sei ein strategischer Partner. Aber wenn man das differenziert nach HR und Non-HR, stellt man fest: Es besteht eine deutliche Lücke zwischen dem Selbstanspruch der Personalabteilung und der Wirklichkeit. Ein Grund dafür ist, dass HR nicht die Daten hat, auf deren Basis zum Beispiel eine strategische Personalplanung erfolgen könnte. Und wenn HR die Geschäftsstrategie nicht sauber in Personalanforderungen übersetzen kann, wird es schwierig, einen strategischen Dialog zu führen. HR muss deshalb in den kommenden Monaten und Jahren manche der Themen, die sie als sehr wichtig identifizieren, dringend angehen, damit HR die strategische Rolle ausfüllen kann.

Zur Person:

Philipp Kolo ist Partner und Associate Director bei BCG in München. Sein Thema ist People & Organization und spezialisiert auf Personalstrategie und Human Resources.