Change Management

Die Grundlage des digitalen Leadership: Kein Führen ohne Folgen

Digital Leadership lässt sich auf eine einfache Formel herunterbrechen: Führung muss verteilt werden. Dazu gehört die Bereitschaft, Führung abzugeben. Denn gute Führung bedeutet, auch folgen zu können. Aktuell gibt es wenige Führungspersonen, die das für selbstverständlich halten. Warum?

Gute Führung bedeutet auch, folgen zu können
Gute Führung bedeutet auch, folgen zu können

Das Wort folgen ist negativ besetzt. Wir verbinden damit, still zu sein und ohne Widerrede vorgegebene Aufgaben zu erfüllen. Oft auch in Situationen, in denen wir vom Gegenteil überzeugt sind. Diese Art des Folgens kennen wir aus der Organisationsform Weisung und Kontrolle, die sich nach der industriellen Revolution Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte. Damals war diese Art von Führung für die Effizienzsteigerung notwendig – am Fließband ging es um das schnelle Erfüllen standardisierter Prozesse, nicht um Mitdenken und Mitverantwortung.

Warum kommt jedes Mal, wenn ich nach einem Paar Hände frage, ein Gehirn mit?
Henry Ford

Heute müssen Unternehmen jedoch agil sein, schnell auf neue Marktgegebenheiten reagieren und disruptive Entscheidungen treffen: Es ist besser, sich selbst zu kannibalisieren, als wenn es andere tun. Dazu braucht es Mitarbeiter, die mitdenken, Verantwortung übernehmen, ihr Wissen bereitwillig teilen und in ihrem Umfeld Führung übernehmen. Nur so entsteht Erfolg. Deswegen müssen klassische Führungskräfte in entscheidenden Situationen das Zepter der Macht abgeben. Doch wann braucht es Führung und wann sollte man folgen?

Geteilte Führung = Führen und Folgen zum richtigen Zeitpunkt

Geteilte Führung meint, dass jeder Verantwortung für die Aufgaben übernimmt, die er mit seinem Wissen am besten erfüllen kann. Die Verteilung der Verantwortung ist dabei interaktiv, temporär und agil. Somit wechselt die Führung immer dann in neue Hände, wenn jemand besser für die jeweilige Aufgabe geeignet ist.

Die positiven Auswirkungen dieses Führungsmodells sind bewiesen: Unter anderem stellte das Journal of Applied Psychology einen Anstieg der Leistungsfähigkeit von Teams fest. Mitarbeiter sind zufriedener, das Verhalten wird kooperativer und messbare Erfolge häufen sich. Noch wichtiger: Die heutige Arbeitswelt macht es unmöglich, dass Führungskräfte Spezialisten für jedes Thema ihres Teams sind. Vielmehr müssen sie auf das detaillierte Wissen ihrer Mitarbeiter vertrauen. Im besten Fall treffen also die Mitarbeiter als thematische Experten die Sachentscheidungen, während die Führungskraft die Rahmenbedingungen schafft, damit die Mitarbeiter bestmöglich arbeiten können. Der Zeitpunkt des Wechsels zwischen Führung und Gefolgschaft ist damit auch klar – er hängt vom Thema und dem jeweiligen Expertenstatus ab.

Führungskräfte arbeiten nicht im System, sondern am System.
Conny Dethloff, OTTO

Voraussetzungen für erfolgreiches Führen und Folgen

Geteilte Führung bedarf einer Änderung menschlicher Gewohnheiten. Auf der einen Seite müssen Führungskräfte lernen, sich zurückzuziehen. Sie müssen den Chef-Reflex ablegen und akzeptieren, dass auch andere Vorschläge zum Erfolg führen können. Auf der anderen Seite müssen Mitarbeiter wieder lernen, auch im Unternehmen Dinge in die eigene Hand zu nehmen. Das verlangt die Bereitschaft, die eigene Komfortzone zu verlassen. Statt Anweisungen zu befolgen, müssen die Mitarbeiter Eigeninitiative zeigen, Verantwortung für ihre Themen übernehmen und bei ihren Projekten in den Lead gehen.

Manage your Boss.
Peter Drucker

Erst wenn beide Seiten – Führungskraft und Mitarbeiter – diesen Wandel der Gewohnheiten schaffen, funktioniert geteilte Führung. Dann erkennt jeder seine Verantwortung und hat die Kraft zu führen. In erster Linie sich selbst, die eigenen Projekte und Aufgaben und auf zweiter Ebene auch andere Kollegen und eventuell Chefs. Nur so sind notwendige Führungswechsel an der richtigen Stelle möglich.

Regeln zum guten Folgen

Gutes Folgen ist schwierig und erfordert ein hohes Maß an Disziplin. Das habe ich in dem Jahr, in dem ich unter meinem Nachfolger arbeitete, gemerkt. Deswegen braucht es Regeln, die dabei unterstützen. Die folgenden vier Punkte halfen mir, die Rolle des Folgenden zu verinnerlichen:

1. Unterstütze Deine Führungskraft, erfolgreich zu sein

Wir alle kennen das Gefühl der Genugtuung, wenn Vorgesetzte etwas falsch machen. Besonders, wenn man selbst anderer Meinung war. Geteilte Führung erfordert und fördert ein anderes Verhalten. Denn jeder ist mal in der Position des Führenden und wünscht sich ehrliche Unterstützung.

2. Gib Rückmeldung als ein Geschenk

Feedback zu geben, ist unerlässlich – sowohl für Führungskräfte als auch für Mitarbeiter. Wann immer jemand eine Idee oder einen Ratschlag für den jeweils Führenden hat, sollte er ihm das mitteilen. Doch Feedback ist wie ein Geschenk: Man hofft, dass es gefällt und der Empfänger etwas damit anfangen kann. Man mag enttäuscht sein, wenn dies nicht der Fall ist. Doch letztlich liegt die Entscheidung, ob ein Ratschlag angenommen wird, immer beim Feedback-Empfänger.  Gleichermaßen schwierig ist es, wenn das Feedback befolgt wird und der Verantwortliche damit erfolgreich ist. Denn die Lorbeeren erntet er und nicht der Feedback-Geber.

Folgende Erkenntnis macht mir diese Zwickmühle erträglich: Eine der wichtigsten Leistungen einer Führungskraft ist es, zu entscheiden, welchem Ratschlag sie folgt – und damit ist es auch ihr Verdienst, das richtige Feedback angenommen zu haben. Genauso wie es auch ihr Misserfolg ist, wenn sie einem falschen Rat folgt.

3. Im Zweifel: Folge und lass Ergebnisse sprechen

Führung abzugeben, führt auch zu Bedenken. Vor allem, wenn man selbst eine andere Entscheidung treffen würde. Falls die Führende trotz entsprechendem Ratschlag einen anderen Weg geht, sollte man sie unterstützen und das Resultat abwarten. Entweder es gibt eine positive Überraschung, aus der man selbst Neues lernt. Oder die Führende erwirbt neues Wissen durch die Fehlentscheidung. In der Praxis ist dieses „Machen-lassen“ das Schwerste.

4. Folge nur dann nicht, wenn Du überzeugt bist,

  • dass es wirklich wichtig ist
  • und der eigene Weg deutlich besser ist
  • und der andere Weg definitiv in einem Desaster enden wird.

Mein Fazit

Geteilte Führung ist anspruchsvoll und erfordert eine hohe Akzeptanzbereitschaft – gerade für die Führungskräfte. Sie dürfen bei delegierten Aufgaben nicht „hineingrätschen“, weil sie es anders machen würden. Einerseits würde das bei den Mitarbeitern die Bereitschaft zerstören, Verantwortung zu übernehmen. Andererseits entzieht es allen Beteiligten die Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen.

Zuerst erschienen auf dem Haufe-Blog „Mitarbeiter führen Unternehmen“.