New Work Digitalisierung

Treibt die Krise die Digitalisierung?

Von jetzt auf gleich schicken Unternehmen gerade Mitarbeiter ins Homeoffice. Verändert das Unternehmenskulturen nachhaltig? Schafft Corona ganz nebenbei Akzeptanz für digitale Zusammenarbeit? Und was macht das mit den Menschen im Unternehmen?

Führt Corona zu Isolation oder zu echter digitaler Zusammenarbeit? Foto: cottonbro von Pexels
Führt Corona zu Isolation oder zu echter digitaler Zusammenarbeit? Foto: cottonbro von Pexels

Homeoffice: Hard Work statt Hängematte

Es rauscht leise in der Leitung an diesem sonnigen Märznachmittag, an dem ich mit Carsten Rossi spreche. Es ist nicht das gleiche wie das heimelige analoge Knistern einer Schallplatte, aber es ist scheinbar der Sound unserer Zeit. Eine Zeit, in der uns geraten wird, uns voneinander zu entfernen, um näher zusammenzurücken. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus stellen Unternehmen auf eine harte Probe. Gleichzeitig zwingen sie uns zu Flexibilität und Innovation. 

Viele Unternehmen empfehlen ihren Mitarbeitern aufgrund der Ansteckungsgefahr von zu Hause zu arbeiten – falls irgendwie möglich. Menschen, die vor wenigen Wochen über den „Hängemattentag“ der Kollegin im Homeoffice gewitzelt haben, sitzen jetzt selbst in den heimischen vier Wänden. Fördert diese Situation die Akzeptanz für digitale Zusammenarbeit? 

„Wir erleben jetzt, dass sich sehr viele Menschen in kürzester Zeit auf diese Art der Zusammenarbeit einstellen müssen,“ sagt Carsten Rossi, Geschäftsführer der Kölner Agentur Kammann Rossi. Mit einem Wandel der Unternehmenskultur habe das für ihn aber noch überhaupt nichts zu tun. Momentan machen sie für ihre Kunden „sehr viel Change-Kommunikation. Denn nur damit, die Tools für digitales Zusammenarbeiten hinzustellen, ist es nicht getan.“ 

Hilft Corona der Akzeptanz digitaler Zusammenarbeit auf die Sprünge? 

Einige Unternehmen haben in den letzten Tagen Software für Videokonferenzen in einem Kraftakt eingeführt. Solche, deren Kultur eine ortsunabhängige Zusammenarbeit bisher kaum zuließ, schaffen Möglichkeiten für digitalen Austausch jenseits der E-Mail.

„Wir erleben jetzt, dass sich sehr viele Menschen in kürzester Zeit auf diese Art der Zusammenarbeit einstellen müssen,“ sagt Carsten Rossi.
„Wir erleben jetzt, dass sich sehr viele Menschen in kürzester Zeit auf diese Art der Zusammenarbeit einstellen müssen,“ sagt Carsten Rossi.

 

Die Aktie der Videoconferencing-Firma Zoom legte seit Ende Januar 78 Prozent zu. Die Microsoft-Aktie verlor im gleichen Zeitraum etwas über 10 Prozent, allerdings bietet das Unternehmen nun einige Premiumfunktionen der Plattform MS Teams für einen begrenzten Zeitraum kostenlos an. 

Klappt remote collaboration also dochDer Kommunikationsexperte Rossi bewertet die Situation etwas pessimistischer: „In der jetzigen Situation ist die digitale Zusammenarbeit für viele Mitarbeiter keine ausgesprochen positive Erfahrung. Vieles funktioniert technisch noch nicht einwandfrei oder sie hatten schlicht keine Zeit, sich darauf einzustellen.“ Sein Konterfei auf dem Bildschirm friert kurz ein. „… macht es natürlich schwer, die Mitarbeiter davon zu begeistern,“ geht es dann weiter. 

Corona ist nicht wirklich der ‚pain point‘, von dem wir in der New-Work-Diskussion immer gesprochen haben. Aber wenn wir nach der Krise dranbleiben, kann es dennoch ein Startschuss gewesen sein.
Carsten Rossi

Anna Ott stellt in einem Artikel treffend fest, Corona-Homeoffice per Verordnung sei „noch lange kein Remote Work. Sie hofft jedoch, nach der Corona-Kurve komme die New-Work-WelleDenkt man an den Grundsatz „EngageEnableEmbed“ kann man sagen: Befähigt sind viele Mitarbeiter nach den nächsten Wochen wohl. Es kommt dann darauf an, ihre Erfahrung für eine Entwicklung der Unternehmenskultur zu nutzen. Jede Veränderung entsteht aus einem Schmerz heraus. Dieser ist jetzt für viele da und Carsten Rossi stellt fest: „Corona ist nicht wirklich der ‚pain point‘, von dem wir in der New-Work-Diskussion immer gesprochen haben. Aber wenn wir nach der Krise dranbleiben, kann es dennoch ein Startschuss gewesen sein.“ 

Jetzt ist die Chance, Vorbehalte abzubauen 

Ortsunabhängige Zusammenarbeit braucht vor allem eines: Vertrauen. Die fluchtartige Verlagerung ins Homeoffice ist daher nicht zuletzt eine Vertrauensprobe. Eine Befürchtung von Führungskräften begegnet Rossi immer wieder: „Die denken, ihre Mitarbeiter sitzen zuhause und schauen den ganzen Tag Netflix.“ Diese Angst kann man jedoch abschwächen, zum Beispiel durch kurze Dailys per Videokonferenz. Hier stellt jeder Mitarbeiter in 60 Sekunden knapp seine Aufgaben und Ergebnisse vor. Das beruhigt nicht nur die Sorge vor Kontrollverlust, sondern trägt auch dazu bei, dass die Mitarbeiter in Kontakt bleiben. 

Wir kriegen auch im Homeoffice einiges erledigt – viele sogar mehr als im Büro. 
Carsten Rossi

Klar abgegrenzte Aufgabenpakete, deren Bearbeitungsstand sich zum Beispiel per Kanban-Board nachvollziehen lässt, helfen bei der Organisation. Rossi nennt das „Agilität aus dem Misstrauen heraus geboren“, aber es beruhige die Nerven so mancher Führungskraft. Überprüfbare Ziele dienen aber nicht zuletzt auch der Selbstmotivation. Sie ersetzen den sozialen Druck aus dem Großraumbüro auf eine positive Weise. Auch dort „würde keiner von uns den ganzen Tag Filme schauen, etwas spielen oder einen leeren Bildschirm anschauen. Wir müssen immer die Maus bewegen und irgendetwas tun,“ sagt Rossi. Er ergänzt: „Wir kriegen auch im Homeoffice einiges erledigt – viele sogar mehr als im Büro. 

Mitarbeiter at home – ohne Office 

Doch längst nicht alle Menschen können ihre Arbeit einfach so ins Homeoffice verlagern, das darf man nicht vergessen. In der Produktion, dem Handwerk oder dem Einzelhandel hat nicht jeder Mitarbeiter einen Laptop. Doch vor allem Unternehmen in diesen Branchen sind schwer getroffen. Sie ordnen Kurzarbeit an oder schließen Standorte zeitweise komplett.

Unterstützung im Krisenmanagement
Haufe bietet Unterstützung im aktuellen Krisenmanagement. Themen wie Kostenneuplanung, Kommunikation mit den MitarbeiterInnen etc. stellen viele Unternehmen vor enorme Herausforderungen. Hier hilft Rat von außen. Haufe vermittelt diese Ratgeber, online und innerhalb kurzer Zeit.
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Rossi betont: „Gerade wenn die Mitarbeiter – wahrscheinlich eher unfreiwillig – zuhause sind, ist eine gute und transparente interne Kommunikation wichtig. Es gibt Apps, mit denen Unternehmen auf die privaten Geräte ihre Mitarbeiter broadcasten können und so im Kontakt bleiben.“ Innerhalb von 72 Stunden soll so die interne Kommunikation im Krisenfall auf die Beine gestellt werden können. Selbst, wenn ein Unternehmen zuvor noch gar nichts in diese Richtung unternommen hatte. 

Den persönlichen Kontakt am Leben halten 

Die aktuelle Situation ist eine Vertrauensprobe – aber auch die Chance, zu beweisen, dass digitale Zusammenarbeit funktioniert. Dass wir auch in der räumlichen Trennung als Teams arbeiten können. In seinem Artikel Aufbruch statt Zusammenbruch ruft Joachim Rotzinger Führungskräfte eindringlich dazu auf, Vorbild zu sein und das enorme Potenzial ihrer Kolleginnen und Kollegen zu nutzen. Unternehmen werden Kosten senken – gleichzeitig müssen sie aber in die Zukunft investieren. Dazu gehören digitale Tools, die neue Formen der Zusammenarbeit ermöglichen. Viel wichtiger ist aber die Förderung einer offenen Unternehmenskultur und das Empowerment der Mitarbeiter. 

Der Mensch zeigt sich als soziales Wesen. Auch im Unternehmen gibt es viele Möglichkeiten, das soziale Miteinander zu erhalten. 

In der aktuellen verordneten Isolation zeigt sich der Mensch als soziales Wesen. Er findet seine Wege. Ob digitale Kaffee-Runde oder das Feierabendbier per Skype. Auch im Unternehmen gibt es viele Möglichkeiten, das soziale Miteinander zu erhalten. „Ob dazu 30 Leute zu Mittag in die Kamera schmatzen müssen, sei dahingestellt,“ sagt Carsten Rossi. In seiner Agentur hätten sie aber ein regelmäßiges „Hello Hello Meeting“, in dem jeder kurz erzählen kann, was ihn bewegt. 

Plattformen wie MS Teams oder Slack bieten verschiedene weitere Möglichkeiten, in Kontakt zu bleibenKollegen zeigen in gemeinsamen Kanälen ihren Arbeitsplatz im Homeoffice, geben Tipps zur Tagesorganisation mit Kindern oder sammeln Produktivitäts-Tipps. So tauschen sie Wissen aus – viel wichtiger ist aber: Sie bleiben in Kontakt. Wer morgens schon die Katzen-Co-Worker seiner Kollegen sieht, fühlt sich im Homeoffice weniger allein. Auch das ist eine Form der Arbeit an der Unternehmenskultur. 

 

Carsten Rossi 

ist Geschäftsführer bei Kammann Rossi. Sein Hauptaugenmerk gilt der Digitalen Transformation seiner Kunden aus Unternehmenskommunikation und Marketing. 1997 gründete er seine erste Agentur. Als Berater für Novartis, Telefónica, Continental, Mann & Hummel und Würth entwickelt er Konzepte für das Social Business von morgen. Er ist Mitherausgeber des Buches „Social Business: Von Communities und Collaboration – Social Media auf dem Weg ins Unternehmen“.