Zukunft der Arbeit Good Work

Von Alt und Neu und was dazwischen ist

Was haben wir in der Pandemie über unsere Arbeit gelernt? Damit befasst sich Jule Jankowski in ihrem Buch „Zwischen Alt und Neu liegt Gut“. Wie alles anders geht, ohne unbedingt neu zu sein.

Natalia Y. @unsplash.com
Natalia Y. @unsplash.com

Nicht erst seit gestern prägt New Work den Diskurs über die Arbeitswelt. Doch während wenige Digital-Pioniere die „neue“ Arbeit längst mitgestalten, zucken Arbeiter:innen in der Produktion nur mit den Schultern. Wie wir Arbeit in Zukunft ausrichten könnten, darüber spricht die Organisationsberaterin Jule Jankowski in ihrem Buch „Zwischen Alt und Neu liegt Gut“. Eins schon vorab: Wo permanent Neues gefordert wird, kann Altes kaum fortgesetzt werden.

Wir müssen jetzt mitschreiben. Das Erkennen und Lernen wird später folgen.

„Wir müssen jetzt mitschreiben. Das Erkennen und Lernen wird später folgen“, erklärt Jankowski und macht genau das mit den Gesprächen aus ihrem Podcast „GOOD WORK“. Anhand dieser „Corona-Chroniken“ zeichnet sie die Schwingungen des großen Erdbebens in der Arbeitswelt nach. Angelehnt an die „Change Kurve“, die eigentlich den Umgang mit dem Tod beschreibt, fasst sie die Erfahrungen in dem Quasi-Modell „Phasen der Anpassung“ zusammen: Von der Zeit der Helden über die Zeit der Ernüchterung hin zur Zeit der Schwebe und der Neu-Gestaltung. Nicht vollkommen präzise und doch überzeugend skizziert Jankowski damit die Hochs und Tiefs der letzten Jahre.

Prinzipien der guten Arbeitswelt

Weniger Regeln, mehr Prinzipien fordert die Autorin: „Prinzipien unterstützen den Transformationsprozess, regen durch die Notwendigkeit ihrer Auslegung den Diskurs an. Sie fördern somit die Eigenverantwortung der Systemmitglieder." Im komplexen Umfeld brauche es die Kompetenz, mit Mehrdeutigkeit umzugehen, anstatt den Status quo mit Regeln zu zementieren oder erratisch nach Lösungen zu suchen. Keine programmatische Setzung, kein Regelwerk, vielmehr die Einladung zum Dialog über grundlegende Aspekte der Zusammenarbeit soll Good Work anbieten.

Die Organisationsberaterin macht es sich nicht einfach: Nebelumwobenen Buzzwords wie Agilität oder Hybrid geht sie auf den Grund, anstatt sie unkommentiert in den Raum zu werfen. Good Work ist eine tiefgründe, kritische Diskussion über eine Wirklichkeit von Arbeit, wie sie schon längst gelebt wird. Von solchen Entwicklungen und Konflikten leitet Jankowski die Prinzipien von Good Work ab:

  1. Gelungene Beziehungsgestaltung
  2. Flexible Strukturen
  3. Digitale Balance
  4. Gelebte Agilität
  5. Denken in Möglichkeiten

Ein paar spannende Denkanstöße in der Zusammenfassung:

1. Schwache Verbindungen und Begegnung auf Augenhöhe

Tägliches Miteinander fördert Bindung und Zusammenarbeit. Doch was ist mit Kolleg:innen, die wir nur selten treffen? Schwache Verbindungen, sogenannte Weak Ties, haben laut Jankowski die Kraft, um Brücken nach außen zu bilden, um neue Perspektiven und Verbindungen zu entwickeln. Sie ermöglichen frisches und produktives Feedback, auch weil sie weitgehend frei von belasteten Verhältnissen sind. Die Begegnung ohne Absicht ist laut Jankowski schließlich die „Ouvertüre für große Gedanken und tieferes, inhaltliches und persönliches Vernetzen.“

Der wichtigste Job von Führung besteht darin, Menschen zu vertrauen, damit sie lernen, sich selbst (wieder) zu vertrauen.

„Es sollte unser Bemühen sein, das Ähnliche im Anderen zu erkennen und das Andersartige im Anderen wertfrei aufzunehmen“, erklärt Jankowski und bezieht sich auf den Physiker David Bohm. Er verstand den Dialog als kollegiales Prinzip, als Begegnung auf Augenhöhe. Lebendiger Dialog führe zu permanentem Aufeinander-Bezogen-Sein. Das Vertrauen wiederum sei die Grundlage für gelungene Beziehungen. Das hat auch Konsequenzen für Führungskräfte: „Der wichtigste Job von Führung besteht darin, Menschen zu vertrauen, damit sie lernen, sich selbst (wieder) zu vertrauen.“ Das deckt sich mit Leadership-Diskursen, nach denen Führung mehr unterstützen, begleiten und befähigen als anordnen, genehmigen und kontrollieren sollte.

2. Flexible Strukturen, die Halt geben

Im starren Zustand lässt sich keine Zukunft gestalten. Die Bewegung macht’s. Ganz so einfach ist es aber nicht. Jankowski sagt dazu: „Die Flexibilisierung vorhandener Strukturen bedeutet nicht, dass wir sämtliche Rahmungen über Bord werfen. Es bedarf ihrer Neujustierung und Kontextualisierung.“ Und das betreffe vor allem das Wo, Wann und Wie von Arbeit: „Organisationen müssen eine gute Antwort auf die Frage parat haben, was ihre Büroräume so einzigartig macht und was dort viel besser gelingen kann als an jedem anderen beliebigen Ort.“ Die Zukunft der Arbeitsmodelle ist nicht per se hybrid, sondern kontextgerecht und bedürfnisorientiert. Flexible Strukturen bieten im Arbeitsalltag ein haltgebendes, störungsfreies Gerüst.

Die Flexibilisierung vorhandener Strukturen bedeutet nicht, dass wir sämtliche Rahmungen über Bord werfen. Es bedarf ihrer Neujustierung und Kontextualisierung.

3. Achtung: Digitale Effizienzfalle

Das Nebelwort Hybrid droht zu spalten, meint Jankowski. „Solange wir in der Teilung von analog und digital als ein Zwei-Welten-Modell denken, welches wir auf Knopfdruck wechseln möchten, versperren wir unsere Sicht auf eine Kommunikation und Zusammenarbeit, die fluide und grenzenlos ist.“ Sie fordert mehr digital-integrale Arbeitsweisen: sich souverän(er) im digitalen Raum zu bewegen sowie dessen Nutzen und Verwendung zu verstehen. Digitalisierung begreift Jankowski nicht als Ziel, sondern als Prozess. Digitale Balance als Ressource, um sich der digitalen Realität, der Digitalität, anzunähern.

Analoge Prozesse und Formate dürften nicht bloß digitalisiert werden, sondern müssten in den digitalen Austausch gebracht werden. Und bitte nicht in die digitale Effizienzfalle tappen: „Bei unreflektierter Nutzung gaukeln digitale Medien Effizienz vor, wo keine herrscht. Außerdem verleiten sie dazu, dass Menschen sich unter Zugzwang sehen, auf jeden digitalen Pfiff gleich aufzuspringen.“ Deshalb steht Digital Leadership auch vor neuen Herausforderungen. Die digitale Zusammenarbeit erfordert im Zweifel sogar mehr Kommunikation als die direkte Begegnung.

4. Agilität im echten Leben

An den Kragen geht die Autorin auch der Agilität: dem Buzzword, dem verzweifelten Versuch des Kurswechsels. Echte Agilität braucht laut Jankowski keine bloße Einführung, sondern das (Er)Leben, Praktizieren und den reflektierten Einsatz: „Agile Organisationen sind keine Erziehungsanstalten, sondern soziale Systeme, in denen Menschen miteinander und nicht aneinander arbeiten. Arbeiten am System und arbeiten mit den Menschen, nicht andersherum.“ In diesem Miteinander kommt es immer wieder zu Paradoxien zwischen klassischen und agilen Ansätzen. Anstatt in einen agilen Dogmatismus zu verfallen, helfe es, Konflikte zu benennen, offen zu bleiben und ein agiles Framework im Zweifelsfall ruhen zu lassen.

Agile Organisationen sind keine Erziehungsanstalten, sondern soziale Systeme, in denen Menschen miteinander und nicht aneinander arbeiten.

5. Purpose, der von Herzen kommt

Jede Herausforderung lässt sich mit der richtigen Haltung meistern, oder etwa nicht? Zurecht kritisiert Jule Jankowski Strategien der Personalisierung: „Mindset-Diskussionen laufen mitunter Gefahr, in einer moralisierenden Dauerschleife genau das zu unterdrücken, was sie ursächlich hervorzubringen versuchen: Eine hilfreiche, handlungsleitende Einleitung.“ Ihre Worte erinnern auch an die Organisationsberaterin Judith Muster, die Forderungen nach dem „richtigen" Mindset kritisiert.

Und doch liegt der Ball bei der Führung. Jankowski betont: „Schafft einen Rahmen, der ein erfülltes Arbeiten ermöglicht. Hört nicht auf zu versuchen, das Wesentliche zu entdecken.“ Das bedeute, die eigene Arbeit mit Exzellenz und Hingebung anzugehen sowie den Zweck von Handlungen zu beschreiben. Das Warum wird weder gebildet noch erforscht, meint die Organisationsberaterin: „Der Purpose existiert von Anfang an. Die Herausforderung besteht darin, ihn in Worte zu fassen.“

Der Purpose existiert von Anfang an. Die Herausforderung besteht darin, ihn in Worte zu fassen.

Kommt jetzt die gute Arbeitswelt?

Eine gute Geschichte wird gut, wenn sie gut erzählt wird. Damit kommen wir zu einer der größten Stärken von Good Work. Jule Jankowski fasst die Anekdoten ihrer Podcast-Gäste in eine bildhafte und spielerische Sprache. So etwa beim Umgang mit der Vergangenheit: „Solange wir im Verkehr mitschwimmen, birgt der Blick in den Rückspiegel das, wovor uns bereits die Fahrschule warnt: die Gefahr des toten Winkels.“ Das Autofahren und die Analyse historischer Ereignisse brauchen beides: die geputzte Scheibe für die klare Sicht nach vorne und ausreichend Abstand beim Blick in den Rückspiegel.

Das neue Buch von Jule Jankowski. Erschienen bei Vahlen (2022).
Das neue Buch von Jule Jankowski. Erschienen bei Vahlen (2022).

Es gibt aber auch ein Problem. Zum Auftakt thematisiert Jankowski die Vorbehalte gegenüber New Work. Deshalb will sie ja Perspektiven der Übersetzung anbieten. Doch brauchen wir ein weiteres englisches Etikett, welchem ein ähnlich beschwerlicher Weg wie dem Vorgänger droht? Zudem leitet Jankowski ihre Prinzipien aus Gesprächen mit Menschen ab, die sich entweder als Pioniere der Arbeit hervortun oder auf andere Weise innovativ handeln und denken. Ihre Prinzipien sind gut begründet, doch spiegeln sie nicht vollständig die Vielfalt der Lebens- und Arbeitsrealitäten wider.

In ihrem Buch behandelt Jankowski nicht nur die Organisation, ihre Strukturen und Prozesse, sondern auch das individuelle Verhalten von Mitarbeitenden und Führungskräften. Die wohl wichtigste Erkenntnis für alles, was noch kommen mag, lautet: Veränderungen ist eine Einladung zum Lernen. Wer die Versprechen der neuen Arbeitswelt nicht glauben kann und wem New Work, Agilität und Purpose weiterhin fremd bleiben, denen wird sich früher oder später jedoch eine Aufgabe aufdrängen: Wie die eigene Arbeit zur guten Arbeit wird, das müssen wir selbst herausfinden.