Agilität Organisationsentwicklung

„Die HR-Organisation sollte zum Unternehmenskontext passen“

Je größer die Komplexität des Business, desto stärker muss die HR-Organisation auf Komplexität ausgerichtet sein, sagt André Häusling von HR Pioneers. Und plädiert dafür, dass HR eine führende Rolle übernimmt. HR werde zu oft als Verhinderer wahrgenommen.

"Drängend ist die Frage, wie sich HR wirkungsvoller organisieren kann, um schneller zu werden – für die Kunden", sagt André Häusling, HR Pioneers.
"Drängend ist die Frage, wie sich HR wirkungsvoller organisieren kann, um schneller zu werden – für die Kunden", sagt André Häusling, HR Pioneers.

Kein One-size-fits-all

Herr Häusling, am 26. April fand der erste „Agile People Summit“ statt. Wie sah das Konzept aus?

Es war im Endeffekt ein Experiment. Im Vorfeld haben wir in Nutzerinterviews nachgefragt, was die Unternehmen in Sachen Agilität gerade beschäftigt und inwiefern sie sich ein Online-Format dazu vorstellen können. Uns war wichtig, den Spirit der „Agile HR Conference“ auch online rüber zu bringen. Wir wollten keine One-Way-Kommunikation und haben wahnsinnig viel getestet. Letztlich sind wir also selbst ganz agil herangegangen.

Thematisch haben Sie  die Impulsvorträge auf die Interessen der befragten Teilnehmenden abgestimmt. Wo drückt die Personaler denn im Moment der Schuh in puncto Agilität?

Die Heterogenität der Fachbereiche ist deutlich gestiegen: Manche sind schon sehr agil in ihrer Arbeitsweise und andere arbeiten weiterhin traditionell. Deshalb funktioniert „one-size-fits-all“ in der Prozessgestaltung von HR nicht mehr. Noch drängender ist die Suche nach neuen Lösungen, wie sich HR wirkungsvoller organisieren kann, um die Geschwindigkeit für den Kunden zu steigern. Wir haben das Programm angesichts der verschiedenen Ausgangssituationen bewusst wie ein Buffet aufgebaut. Neben meinem Impuls zur HR-Organisation der Zukunft hatten wir zwei aus der Praxis – von Spring aus dem Hause Axel Springer zum Thema transparente und kreative Kommunikation und von SAP zum Thema virtuelle Organisationsentwicklung.

Die 5 reifegrade einer agilen Organisation: Hier sind sie beschrieben.
Die 5 Reifegrade einer agilen Organisation: Hier sind sie beschrieben.

Ende April ist das Buch „Der Weg zur agilen HR-Organisation“ erschienen, das Sie zusammen mit Prof. Stephan Fischer von der Hochschule Pforzheim herausgegeben haben. Wie sollte denn Ihrer Meinung nach die HR-Organisation der Zukunft aussehen?

Sie sollte zum Kontext des jeweiligen Unternehmens passen. Je größer die Komplexität des Geschäfts ist, desto stärker muss auch die HR-Organisation auf Komplexität ausgerichtet sein.

Von der Stablinienorganisation zum Netzwerk

Sie beschreiben in Ihrem Buch fünf Reifegrade der HR-Organisation.

Die Idee des Buchs war eigentlich, das Drei-Säulen-Modell von Dave Ulrich abzulösen, weil wir es nicht mehr für zeitgemäß halten. In diversen Co-Creation Days und Design Sprints haben wir aber festgestellt, dass wir mit einem neuen Modell den verschiedenen Umfeldern nicht gerecht werden. Deshalb haben wir verschiedene Reifegrade herausgearbeitet.

Wenn die gesamte Organisation netzwerkartig strukturiert ist, geht HR in Reifestufe 5 im Netzwerk auf.

Reifegrad 1 ist ein stabiler Kontext, eine typische Stablinienorganisation zum Beispiel, in der eine Art Referentenmodell gut funktioniert, bei dem HR sich nach bestimmten Mitarbeitergruppen aufteilt. In Reifegrad 2 ist das Business in Matrixstrukturen unterwegs. Um HR für Projekte, Produkte oder Regionen zu vereinheitlichen, ist das Business-Partner-Modell gefragt. In Reifestufe 3 entstehen erste informelle Netzwerke, die agil arbeiten. In Reifestufe 4 stellen die Organisationen fest, dass sie informelle Strukturen formalisieren müssen – Hybrid-Organisationen entstehen, in denen verschiedene Organisationseinheiten unterschiedlich geprägt sind. Wenn die gesamte Organisation netzwerkartig strukturiert ist, geht HR in Reifestufe 5 im Netzwerk auf.

Wie sehen die Übergänge der Reifestufen Ihrer Beobachtung zufolge aus?

Es gibt zwei mögliche Strategien. Zum einen kann HR als First Mover agieren und als Vorreiter eine agile Zusammenarbeit selbst ausprobieren. Zum anderen kann HR als Second Follower zunächst beobachten, wie sich die Funktionsbereiche im Kontext der gesamten Organisation verändern und sich daran anpassen. Beide Ansätze sind total legitim.

Aber die Entwicklung sehen Sie chronologisch. Oder gibt es auch Abkürzungen?

Wir werden das viel von Managern gefragt. Sicher kann man ein paar Learnings von anderen übernehmen, aber das ist ein evolutionärer Prozess. Wir kennen wenige Unternehmen, denen eine Abkürzung gelungen ist – viele mussten dann wieder zurückspringen, weil der Sprung zu groß war. Das ist so, wie wenn ein kleines Kind das Krabbeln auslassen wollen würde, um direkt laufen zu lernen. Wenn es dann hinfällt, muss es doch wieder auf den Knien rumrobben, damit es mit dem Laufen irgendwann funktioniert.

Das Drei-Säulen-Modell hat den Vorteil von Einheitlichkeit einer gewissen Qualität. Aber wenn one-size-fits-all nicht mehr funktioniert, entstehen dann nicht viele Schnittstellen und somit Kosten, die aus dem Ruder laufen können?

Das ist ein legitimes Argument und das sollte sich jede Organisation gut überlegen. Wenn andererseits das Feedback von den Fachbereichen kommt, dass HR individueller auf die Bedürfnisse eingehen sollte, ist das eine Existenzfrage. Wenn das Business die Dinge lieber selbst in die Hand nimmt und Workarounds um HR herumbaut, weil die Personalabteilung mit einer starken Governance alles über einen Kamm schert, braucht es eine andere Antwort. Natürlich muss das HR-Backend weiterhin hoch standardisiert sein und effizient laufen. Beim iPhone ist die Ausstattung auch Standard, aber jeder kann sich hoch individualisiert die Apps herunterladen.

Der Weg zur agilen Organisation ist ein evolutionärer Prozess. Abkürzungen gibt es eigentlich nicht.

Was lässt sich weiterhin standardisieren und was können die Fachbereiche individuell alleine managen?

Im Backend ist vieles standardisierbar, was bisher im Shared Service Center beheimatet ist – wie beispielsweise die Lohn- und Gehaltsabrechnung. Auch Mitbestimmung lässt sich besser zentral organisieren. Beim Recruiting teilt es sich eher auf: Es kann vorkommen, dass die Personalbeschaffung zentral läuft, die Fachbereiche aber die Auswahl für sich konfigurieren können. Ähnliches gilt für das Mitarbeiterjahresgespräch: HR sieht die Möglichkeit vor, stellt verschiedene Mitarbeitergesprächsbögen zur Verfügung, aber die Fachbereiche entscheiden selbst, ob und wie sie es durchführen möchten. Letztlich brauchen wir cross-funktionale Teams, die die Lösung für die Kunden aus einem Guss denken.

Manche Unternehmen müssen das Überleben sichern, während andere von der Krise sogar profitieren. Wir lösen uns gerade erst aus der Schockstarre und sondieren, wie schlimm es kommen wird und wie radikal wir uns verändern müssen.
André Häusling

Und HR hätte dann die Aufgabe, die cross-funktionalen Teams zusammenzustellen?

Die Entwicklung von konkreten Anwendungen sollte HR nach wie vor treiben, aber sehr partizipativ gestalten, mit den Businessbereichen zusammen. Wie die Nutzer das Angebot konkret anwenden, bleibt ihnen dann stärker selbst überlassen.

Treiber statt Bremser

Lennart Keil von SAP hat auf dem Agile People Summit gesagt: „Wir haben als Personaler in den Organisationen nicht immer einen guten Stand.“ Was soll sich daran mit der neuen agilen HR-Organisation ändern?

Der gute Ruf steht oder fällt damit, wie gut HR Nutzen generiert. Ich kenne das noch aus meiner Zeit als Personaler: Wir werden oft als Verhinderer gesehen. Viele HR-Bereiche schauen zu sehr auf sich und vergessen die Nutzerperspektive.

In der Krise neigen Organisationen dazu, in alte Strukturen zurückzufallen, und es stehen andere Themen auf der Agenda. Wie realistisch ist es da, die HR-Organisation umzubauen?

Das ist noch schwer abzuschätzen. Vermutlich werden wir beides erleben: Es gibt HR-Bereiche, bei denen der Schmerz groß genug ist und die die Krise für einen Umbau nutzen. Es wird aber auch die geben, die es wie immer machen, denn das gibt Sicherheit. Das wird sehr stark vom Reifegrad der Organisation, den handelnden Personen und der Branche abhängen. Manche Unternehmen müssen das Überleben sichern, während andere von der Krise sogar profitieren. Wir lösen uns gerade erst aus der Schockstarre und sondieren, wie schlimm es kommen wird und wie radikal wir uns verändern müssen.