Digitalisierung

Digitale Führung – eine Rückbesinnung auf die eigenen Werte

So viel Erfolg Unternehmen in der Vergangenheit mit tradierten Führungsstrukturen hatten: Fest steht, dass in der Digitalisierung Leadership neu entsteht. Trotzdem funktioniert Führung nicht ohne Werte, wie Martin Ciesielski, Medienexperte, Führungscoach und Buchautor im Interview erklärt.

Welche Werte führen zum Ziel?
Welche Werte führen zum Ziel?

Wie sieht in der Digitalisierung Leadership aus? Fakt ist: Die Digitalisierung stellt den Menschen vor ungeahnte Herausforderungen. Denn die damit einhergehenden hoch komplexen, vernetzten Technologien sind ein Novum in der Menschheitsgeschichte. Der Mensch und seine Umwelt scheinen daher fest im Griff der Digitalisierung zu sein und nicht umgekehrt. Wie können Führungskräfte wieder die Oberhand im digitalen Spiel erlangen? Einer, der diese Fragen beantworten kann, ist Martin Ciesielski. Der Medienexperte, Führungscoach und Buchautor beschäftigt sich seit Beginn seines Berufslebens mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Unternehmen und Menschen.

Führungskompetenzen in der Digitalisierung: Leadership neu gestalten

Herr Ciesielski, zahlreiche Führungskräfte stehen der Digitalisierung ratlos gegenüber. Welche Kompetenzen müssen sie sich aneignen, um im digitalen Zeitalter bestehen zu können?

Martin Ciesielski: Basis bilden weiterhin die klassischen Kompetenzen wie Fach- und Methodenkompetenzen. Hinzukommen zum Teil neue, zum Teil aber auch schon lange gültige personale, soziale und Medienkompetenzen.

Einerseits verlangt die Digitalisierung von Führungskräften, sich mit Technologien und sozialen Netzwerken auseinanderzusetzen – das war allerdings in diesem Ausmaß bisher nicht erforderlich. Andererseits muss sich eine Führungskraft viel bewusster über die eigene Person sein, um richtig zu führen. Durch die zunehmende Digitalisierung der Kommunikation können andere Entscheidungen und Handlungen schneller bewerten und anzweifeln. Das ruft bei Führungskräften ohne gefestigte Persönlichkeit schnell Unsicherheit hervor.

Das Wissen über die eigene Person hilft, um einen klaren Umgang mit der bestehenden Medienvielfalt und eine genaue Differenzierung der unterschiedlichen Mediennutzungstypen vorzuleben. Denn als Führungskraft darf ich nicht blind den neuesten Trends folgen, wie viele es tun. Ich muss mir überlegen, wie meine Mitarbeiter kommunizieren und arbeiten und welche Technologien das entsprechende Verhalten unterstützen.

Um im digitalen Zeitalter erfolgreich zu führen, muss sich eine Führungskraft auf die eigenen Werte zurückbesinnen und die neuen digitalen Tools dem individuellen Gebrauch anpassen. Werte sind dabei eine zentrale Stellschraube, denn sie leiten durch den Dschungel der digitalen Möglichkeiten. Mit ihnen lassen sich Antworten auf Fragen wie „Welche sozialen Netzwerke bespiele ich als Führungskraft?“, „Welche Software passt zu unseren Unternehmenswerten?“ bis hin zu „Wie kommuniziere ich mit meinen Mitarbeitern?“ leichter finden.

Werte sind eine zentrale Stellschraube, denn sie leiten durch den Dschungel der digitalen Möglichkeiten.
Martin Ciesielski

Technologie im Digital Leadership

Wie wichtig sind Technologien für die digitale Führung von Unternehmen?

Martin Ciesielski: Technologien stehen klar an zweiter Stelle. Gute digitale Führung klärt zuerst die menschliche Komponente. Soll heißen, als Führungskraft muss ich erst feststellen, wie die Zusammenarbeit und Kommunikation in meinem Unternehmen funktioniert oder idealerweise funktionieren soll. Das nenne ich Social Prototyping.

Ähnlich wie beim Rapid Prototyping geht es um das Erstellen von Prototypen. Der Unterschied ist, dass keine materiellen Produkte entstehen, sondern Prototypen von sozialen Interaktionsprozessen. Mitarbeiter und Führungskräfte spielen konkrete Arbeitsprozesse in Workshops durch und lernen, wie sie im Alltag miteinander umgehen möchten. Dafür werden beispielsweise Arbeitsaufträge, die Mitarbeiter normalerweise per Mail weitergeben, durch in-die-Hände-klatschen symbolisiert. Dadurch simulieren die einzelnen Teilnehmer, ob sie ansprechbar sind oder nicht, den Impuls wahrnehmen oder nicht. Durch das körperliche Erleben der abstrakten Prozesse und der Reaktionen darauf (wie Freude, Frust oder Angst) entsteht bei allen Teilenehmern dieser Workshops ein neues Verständnis für die Interaktionsdynamiken im Unternehmen. Aus diesen Erfahrungen lassen sich passende Kommunikationsprozesse ableiten. Diese wiederum sind die Basis für die Einführung von Technologien, die diese Prozesse effektiv unterstützen.

Was ist bei der Einführung von Technologien noch zu beachten?

Martin Ciesielski: Wenn eine Technologie in einem Unternehmen wirklich unterstützend wirken soll, muss die Führungskraft meiner Meinung nach folgende Frage unbedingt beantworten: Passt die Technologie zum unternehmenseigenen Wertesystem? Werte beschränken das digital Machbare auf das kulturell Erwünschte.

Der Großteil der bestehenden Technologien entsteht heute im Silicon Valley. Wir müssen uns fragen, ob die dortigen Normen den unseren entsprechen – Stichworte sind hier: Datenschutz, Transparenz, Überwachung und Geschwindigkeit. Eine Führungskraft muss sich überlegen, welche Werte das Unternehmen ausmachen und hinterfragen, ob die jeweilige Technologie diese widerspiegelt. Eine Technologiebewertung auf Basis der Werte findet momentan noch gar nicht statt.

Eine Führungskraft muss sich überlegen, welche Werte das Unternehmen ausmachen und hinterfragen, ob die jeweilige Technologie diese widerspiegelt.
Martin Ciesielski

Digitalisierung und Leadership: Entstehen hybride Identitäten?

Ein Kapitel in Ihrem Buch „Digitale Führung“ lautet „Die eigene hybride Identität als Führungskraft entwickeln“. Was ist eine hybride Identität?

Martin Ciesielski: Durch die Digitalisierung hat der Mensch zwei Identitäten erhalten. Zum einen die analoge, also der physische Mensch mit Körper, Geist und innerer Stimme. Zum anderen die digitale, also das virtuelle Profil. Diese beiden bilden die hybride Identität. Allerdings fehlt vielen Führungskräften das Wissen um ihre „gespaltene“ Identität. Um ihrer Vorbildfunktion gerecht zu werden, müssen sie sich mit dieser Herausforderung auseinandersetzen. Folgende Fragen helfen, die hybride Identität in Einklang zu bringen:

  • Welche Formen des Umgangs will ich digital/analog pflegen?
  • Auf welchen Netzwerken will ich aktiv sein?
  • Wie trenne ich das berufliche vom privaten virtuellen Profil?
  • Wie gehe ich mit Pseudonymen/Klarnamen in der digitalen Welt um?

Zum Angleichen der hybriden Identität gehören auch regelmäßige Recherchen und das Überprüfen, ob andere das gleiche oder anderes über die eigene Person im Internet finden – Thema Filterbubbles.

Die Komplexität einer hybriden Identität kann vor allem für Führungskräfte zum Problem werden. Dank des Internets lässt sich jede etwaige private Peinlichkeit auch noch Jahre später im Netz wiederfinden, noch so kleine Fehler können somit zum Verhängnis werden. Deswegen ist es unabdinglich, dass Führungskräfte um ihre hybride Identität wissen und im virtuellen Leben genauso bewusst und überlegt agieren wie im realen. Dies ist generell eine gute Handlungsanleitung für digitale Führung: Nur weil sich die technischen Möglichkeiten fundamental geändert haben, sind traditionellen Werte nicht obsolet geworden – ganz im Gegenteil gelten zum Beispiel Ehrlichkeit, Vertrauen und Verlässlichkeit gerade in der Digitalen Führung als wichtiges Asset für Führungskräfte.

Martin Ciesielski ist Geschäftsführender Gesellschafter der medienMOSAIK GbR mit dem Fokus auf Innovation, Entrepreneurship, Führung und Corporate Games. Er arbeitete von 2001 bis 2004 im Silicon Valley, nachdem er zuvor Kommunikationswissenschaften, Medienpsychologie und BWL an der Freien Universität Berlin studiert hatte. Er ist Mitglied im Applied Improvisation Network (AIN). Das AIN ist ein Experten-Netzwerk mit weltweit mehr als 2.500 Mitgliedern, die als Coaches, Berater und Trainer mit künstlerisch-kreativen Methoden in Organisationskontexten arbeiten.

Zuerst erschienen im Haufe-Blog „Mitarbeiter führen Unternehmen“.